Nelson DeMille
eigentlich gar nicht darauf an, ob ich für Don Bellarosa arbeitete oder nicht, und es spielte auch keine Rolle, wo Susan wohnte. Anthony hatte Blut gerochen, und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde er dieser Witterung notfalls bis ans Ende der Welt folgen.
Vor ein paar Tagen war die Vorstellung, Susan beschützen zu müssen, nur ein abstrakter Gedanke gewesen; jetzt, da sie neben mir herlief, war sie Wirklichkeit geworden.
Das Naheliegendste wäre natürlich, die hiesige Polizei und auch das FBI zu verständigen. Wenn sich das Gesetz wegen Susan Sutter an Anthonys Fersen heftete und ihm erklärte, er solle nicht einmal daran denken, die Rechnung zu begleichen, dann sollte das alles sein, was nötig war, um Susan zu schützen.
Andererseits hatte Susan Anthonys Vater ermordet und war ungeschoren davongekommen, und ich glaubte nicht, dass Anthony Bellarosa die Sache auf sich beruhen lassen wollte. Nun ja, sein Vater hätte sich nicht von seiner uralten Pflicht abhalten lassen, den Mord an einem Familienangehörigen zu rächen, doch vielleicht war Anthony nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt. Es war durchaus möglich, jedenfalls hoffte ich das, dass Anthony seine Freiheit mehr schätzte als Familienehre und Vendetta. Ich hatte einfach keine Antwort auf diese Frage und wollte mich weder verschätzen noch meine Vermutungen auf die Probe stellen. Das war ein großes Problem, das alle meine kleineren Probleme ausstach. »Woran denkst du?«, fragte mich Susan.
»Ach ... an ... das, worüber wir gerade geredet haben.« »Meine Eltern. Und davon bekommst du für gewöhnlich schlechte Laune.« »Ganz und gar nicht. Wie geht es ihnen?« »Gut.«
»Sie müssen dir fehlen.«
Schweigen, dann: »Ehrlich gesagt, machen sie mich wahnsinnig.«
Dazu gehörte nicht viel, aber ich erinnerte sie: »Du hast gesagt, sie sind abgeklärter geworden.«
»Naja, sind sie auch, sie wollen ständig auf mich aufpassen.«
»Daran kann ich mich erinnern.« Genau genommen waren William und Charlotte Kontrollfreaks und Manipulatoren, und er war nicht nur ein Geizhals, sondern auch eine skrupellose Schlange. Charlotte, die andere Hälfte dieses dynamisch gestörten Duos, war eine lächelnde Intrigantin und doppelzüngige Giftmischerin. Davon abgesehen waren sie natürlich ganz angenehm.
Mir kam der Gedanke, dass Susan Mom und Dad als liebenswürdige Senioren hinstellen wollte - abgeklärt und so -, die kein Problem mehr für uns darstellten, falls wir irgendwie wieder zusammenkommen sollten. Nun ja, William und Charlotte würden mich nur dann nicht mehr auf die Palme bringen, wenn sie tot und begraben waren. Daran dachte ich, als ich fragte: »Wie geht es ihnen? Irgendwelche gesundheitlichen Probleme?«
Sie dachte darüber nach, bevor sie erwiderte: »Nicht dass ich wüsste. Sie wollen sogar zu Ethels Beerdigung kommen.«
Das hatte ich befürchtet; ich hatte gehofft, sie würden die Beerdigung einer alten Dienstbotin schwänzen, aber wie schon gesagt, in den alten Familien wird nach wie vor eine gewisse noblesse oblige gepflegt, und William und Charlotte würden sich daran halten, selbst wenn sie ihnen ungelegen kam, von den Reisekosten gar nicht zu reden. Vielleicht trampten sie. »Wohnen Sie im Creek?«
»Sie haben ihre Mitgliedschaft gekündigt.«
»Aha. Nun ja, die Mitgliedschaft in einem Club kann teuer sein.«
»Sie kommen einfach nicht mehr so oft hierher, um den Club nutzen zu können.«
»Okay. Und da die Flugpreise in den Himmel steigen, entschuldige den Scherz -«
»Es geht nicht ums Geld, John. Es ist... sie haben nicht mehr so viele Gründe, nach New York zu kommen.«
»Nun ja, du bist jetzt hier. Carolyn ist nie weggezogen, und sie haben hier Freunde, die sie mögen, daher bin ich überzeugt, dass du sie viel öfter sehen wirst, als du denkst.« Ich war jetzt in Schwung, und es tat gut, deshalb fuhr ich fort: »Ich möchte nicht, dass sie so viel Geld für ein Hotel ausgeben, daher können sie jederzeit in Ethels Zimmern im Pförtnerhaus wohnen. Ich fände es gut -«
»John. Hör auf.«
»Tut mir leid. Ich wollte bloß -«
»Du bist nicht der Typ, der vergeben kann, oder?«
»Wie kommst du darauf?«
Sie dachte darüber nach, dann sagte sie: »Wenn du weder vergeben noch vergessen kannst, dann tröste dich wenigstens damit, dass du gewonnen hast.« »Gewonnen? Was habe ich denn gewonnen?« »Du hast alles gewonnen.« »Ich dachte, ich hätte alles verloren.« »Hast du auch, aber dadurch hast du
Weitere Kostenlose Bücher