Nelson sucht das Glück
Nelsons Käfig knurrten ihn laut an. Der eine war ein mittelgroßer, schwarzweißer Mischling mit traurigen Augen und einem räudigen Fell. Nelson roch mehrere alte Wunden an seinem klapprigen Körper. Der andere war ein Corgi-Mischling, ein junger Hund mit jeder Menge Energie, der zwei Tage später ein Herrchen finden würde. Nelson wich instinktiv vor beiden zurück und drückte sich in eine Ecke, wo eine zerfetzte alte Decke lag. Dort lag er ruhig da, während nebenan die Pitbulls immer noch bellten. Schnüffelnd hob er die Nase in die Luft, um herauszufinden, was dieser düstere Geruch in dem Tierheim zu bedeuten hatte.
Durch mehrere Fenster oben in der Wand fiel Licht in den Raum. Am Nachmittag kam Eddie herein und stellte in jede der Boxen Hundefutter und Schüsseln mit frischem Wasser. Trotz seines leckeren Frühstücks war Nelson fast am Verhungern, doch als er sich vorsichtig auf den Napf zubewegte, knurrten die beiden anderen Hunde ihn an, der Corgi-Mischling stellte sich demonstrativ zwischen ihn und den Napf und fletschte die Zähne. Erst später, als die anderen Hunde schliefen, gelang es Nelson, die bescheidenen Reste im Napf zu fressen. Er schlabberte ein wenig Wasser und legte sich dann wieder hin. Wenigstens war der Raum nachts geheizt. Wenn Nelson aufwachte, fand er sich zu seiner Überraschung in dem fremden Raum wieder statt in der längst vertrauten Umgebung der Tierklinik. Doch seine Angst hatte ihn müde gemacht, und so schlief er fast die ganze Nacht durch.
An seine Zeit als Welpe in Emils Tierladen konnte sich Nelson nicht mehr erinnern. Hätte er es gekonnt, hätte er vielleicht Parallelen zwischen seinem jetzigen Leben als Insasse eines Tierheims und dem als stürmischer Welpe in einem viel zu kleinen Käfig im Zoogeschäft entdeckt. Zu gewissen Zeiten während des Tages betraten Menschen den Hauptraum des Tierheims, in Begleitung von Cecilia oder Eddie. Sie schauten sich alle Tiere an, auf der Suche nach einem Hund, den sie mit nach Hause nehmen könnten. Manche gingen wieder, abgestoßen von der traurigen, deprimierenden Umgebung. Manche zeigten auch auf einen bestimmten Hund. Dann holten Cecilia oder Eddie eine Leine, legten sie dem Hund an, und der Interessent durfte den Hund mit nach draußen nehmen, um ihn ein wenig besser kennenzulernen. Doch so weit kam Nelson nie. Entweder übersahen die Besucher den dreibeinigen Hund ganz, oder sie lachten über ihn. Bei dem schummrigen Licht des Heimes nahm sich niemand die Zeit, seine schönen Augen oder die lebhafte Rute wahrzunehmen. Alles, was die Leute sahen, war ein dreibeiniger Hund, und wer wollte so einen schon mit nach Hause nehmen?
Nelson beobachtete, dass der Corgi-Mischling mehrfach aus dem Käfig geholt wurde. Irgendwann nahmen ihn dann ein kleines Mädchen und ihre Mutter mit nach Hause, und so blieben Nelson und der alte schwarzweiße Mischling allein in der Box zurück. Der Mischling knurrte Nelson immer noch an, wenn es Fressen gab, doch eines Tages bellte Nelson laut zurück, und danach teilten sie sich das Futter, ohne zu streiten.
Als der Corgi-Mischling noch da gewesen war, hatte niemand den schwarzweißen Mischling aus dem Käfig holen lassen. Erst als der Corgi weg war, kam eines Tages ein trauriger alter Mann an den Käfig, zeigte auf den Schwarzweißen, Cecilia legte ihm eine Leine an, und er ging draußen eine Weile mit dem Mann auf und ab. Zehn Minuten später war er wieder zurück. Cecilia setzte ihn wieder in den Käfig und nahm ihm die Leine ab. Fünf Minuten später ging der Mann wieder, ohne sich für einen Hund entschieden zu haben.
Nelson beobachtete all das Kommen und Gehen ganz genau. Er hatte viel Schönes zusammen mit Menschen erlebt, und er wäre gerne aufgesprungen und hätte mit diesen Menschen gespielt, hätte den salzigen Geschmack ihrer Haut gekostet, sie beschnuppert. Doch etwas hielt ihn zurück, und so lag er nur ruhig da. Die Wunde an der Stelle, wo früher sein Bein gewesen war, begann wieder zu schmerzen. Einmal ging Eddie mit dem schwarzweißen Mischling spazieren, doch bei seinem dreibeinigen Käfignachbarn machte er sich nicht einmal die Mühe, ihn anzuleinen und eine Runde mit ihm hinauszugehen.
Obwohl Nelson immer wieder aufstand und sich streckte, bekam er nicht die tägliche Bewegung, die er brauchte, um kräftig zu bleiben.
Nachdem Nelson fünf Tage im Tierheim war, wurde der schwarzweiße Mischling angeleint und von Eddie weggebracht. Er kam nicht zurück. Nelson war jetzt allein
Weitere Kostenlose Bücher