Nelson sucht das Glück
irgendwann beschließen musste, wann Nelson dafür bereit war, die Tierklinik zu verlassen. Eine Weile redete er sich ein, Nelson mache immer noch Fortschritte, obwohl es deutlich war, dass er in seiner Gesundung einen stabilen Zustand erreicht hatte. Oft meldeten sich Juan und Suzi zu Wort, wenn sie glaubten, ein anderes Tier sei gesund genug, um aus der Klinik entlassen zu werden, doch er hatte bemerkt, dass sie bei Nelson nichts sagten. Sie wollten der Tatsache einfach nicht ins Auge blicken, dass er bald gehen musste.
Dougal zog auch in Erwägung, den Hund als Dauergast in der Tierklinik zu behalten. Irgendwie war es ein beruhigendes Gefühl, ihn hier zu haben. Sein Schwanzwedeln, der Blick seiner Augen, sein ungewöhnlicher Gang – Dougal fühlte sich glücklich, wenn er Nelson jeden Morgen bei seiner Ankunft in der Klinik vorfand.
Doch Dougal wusste auch, dass es unfair war, ihn für immer hier zu behalten. Zweck des Krankenhauses war es, Tiere zu heilen, nicht, ihnen ein Zuhause zu geben. Andere Tiere würden von dem freien Platz profitieren, wenn Nelson nicht mehr da war. Es gab sowieso nur wenig Zeit in ihrem Tagesablauf, und die Minuten, die sie damit verbrachten, sich um Nelson zu kümmern, mit ihm spazieren zu gehen und ihn zu füttern, bedeuteten Zeit und Energie, die sie dringend für bedürftigere Tiere gebraucht hätten.
Als er eines Nachts noch lange wach lag, kam Dougal die Erkenntnis, dass er den dreibeinigen Hund entlassen und ins Tierheim bringen musste, damit man dort ein neues Zuhause für ihn fand.
22
Nelson spürte, dass sich eine Veränderung anbahnte. In den sechs Jahren seines bisherigen Lebens hatte er die Zeichen des Umbruchs immer ganz genau wahrgenommen. Dabei ging es um kleine und zuerst kaum wahrnehmbare Verschiebungen im Verhalten der Menschen in seiner Umgebung. Oft wurden diese auch von einer Änderung ihrer Witterung begleitet. Er kannte sie nur zu gut, die Gerüche von schwelendem Unmut, von Wut und von stiller Traurigkeit – kleine Duftnoten, die sich durch die Oberfläche des Alltags einen Weg bahnten und ein Hinweis darauf waren, dass schon bald noch viel größere Veränderungen bevorstehen könnten. Er hatte die Unzufriedenheit in Dons Atem gerochen, was eines Tages dazu geführt hatte, dass er vergaß, das Gartentürchen des Hauses in Albany zu schließen. Er hatte auch die Traurigkeit in Thatchers nächtlichen Tränen wahrgenommen, die in einer Schlägerei in einer Kneipe geendet hatten, welche seines und Nelsons Leben verändern würde. Und er hatte den langsam wachsenden Tod in Herbert Jones’ Körper gerochen, der zum Verlust von Nelsons Bein geführt hatte.
Bei dem kleinen, dreibeinigen Hund stellten sich die Nackenhaare auf, als er die ersten Vorzeichen der Veränderung in den Brisen erschnupperte, die durch Dougals Tierklinik wehten. Von Dougal, Juan und Suzi ging eine vage besorgte Stimmung aus. Sie waren noch liebevoller zu ihm als sonst, verbrachten lange Minuten damit, ihn zu tätscheln und zu streicheln. Doch aus ihren Poren strömte mehr als nur der Duft der Zuneigung. Da war Besorgnis. Lediglich den Anlass dafür kannte der Hund noch nicht.
Eines Abends nach der Arbeit nahm Juan Nelson mit nach Hause in seine Wohnung. Er lebte zwar in sehr beengten Verhältnissen, doch bei dem einladenden Duft nach Essen fühlte sich Nelson gleich wie zu Hause. Er spielte mit Juans beiden kleinen Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Juan hatte ein paar Hundespielsachen aus der Klinik mitgebracht. Den Kindern machte es Spaß, sich mit Nelson und den Spielsachen zu beschäftigen. Er war nicht annähernd so wendig wie vor dem Unfall, hatte aber immer noch viel Freude daran, den Kindern spielerisch die kleinen Gegenstände aus der Hand zu nehmen oder ihnen hinterherzulaufen, wenn sie sie über den Boden der kleinen Wohnung warfen.
Juan und seine Frau begannen zu streiten. Während seines Besuchs in der Wohnung hatte die Frau keinerlei Zuneigung ihm gegenüber gezeigt, und Nelson spürte, dass der Streit irgendwie mit ihm zu tun hatte. Ganz leise setzte er sich in eine Ecke und zog zitternd die Rute zwischen die Beine. Kurze Zeit später hob Juan ihn auf seine Arme und brachte ihn in die Klinik zurück, wo er ihn eine halbe Stunde streichelte und mit ihm spielte, bevor er ihn über Nacht allein in seiner Box ließ.
Drei Tage später fuhren Dougal und Juan Nelson ins Tierheim. Suzi hatte an diesem Tag Dienst als Pflegerin, doch Juan kam trotzdem mit, in normaler
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