Nelson sucht das Glück
den Zorn der Wölfin oder des Wolfsvaters zuziehen wollte. In seiner ersten Nacht bei dem Rudel folgte Nelson den anderen Jungen in die Höhle, wo sie jede Nacht mit den Wolfseltern verbrachten. Diese hielten ihn nicht davon ab, sondern begaben sich ganz in seiner Nähe zur Ruhe, und die Wolfsmutter leckte ihm den Bauch. Während ihre Zunge ganz allmählich über seinen Körper wanderte, verweilte sie lange an der Stelle, wo sich einst sein viertes Bein befunden hatte, und sorgte dafür, dass sich besonders viel heilender Speichel darauflegte.
Nelson hatte es zum ersten Mal seit Monaten warm, als die Wärme der Wolfsfamilie ihn durchdrang. Während die Wölfe um ihn herum bereits schliefen, lag er noch eine Weile wach. Von draußen waren die murmelnden Geräusche der Nacht zu hören, ein gelegentliches Scharren und Rascheln der anderen Wölfe, und die fernen Schreie weiterer Tiere, die irgendwo da draußen ihr Revier absteckten. Doch das gleichmäßige Atmen der Wolfseltern schenkte ihm ein gutes Gefühl, und er fühlte sich sicher und geborgen.
Die Landkarte seiner Erinnerungen bestand für Nelson hauptsächlich aus Gerüchen, und es gab darin keine geraden Wege, keine rationalen Erklärungen, keine wirkliche Analyse der komplexen Verbindungen zwischen Katey und ihrem Piano, zwischen Thatcher, Lucy und dem Gestank des Todes im Tierheim. Er wusste nicht, was ihn hierhergelockt und dazu gebracht hatte, bei Wölfen zu leben. Doch in dieser Nacht fühlte er sich sicher und wusste, dass er am nächsten Tag nicht wieder auf Wanderschaft gehen würde. Er würde eine Weile hier bleiben. Der Hund schloss die Augen und versank in üppig duftenden Träumen. In dieser Nacht beherrschten die Wolfseltern seine Träume, sie beschützten und ernährten ihn, und sie liebten ihn wie ihr eigenes Kind.
Innerhalb von wenigen Tagen fühlte sich Nelson in der Wolfsfamilie zu Hause. Die Wölfe lebten nicht in dem sicheren Terrain eines Hauses so wie seine große Liebe. Manchmal fuhren eisige Winde in die Höhle hinein, und Nelson roch, dass die Nackenhaare der Wolfseltern aufgestellt blieben, wenn sie in der Luft der Wildnis nach möglichen Bedrohungen für ihre Kleinen schnupperten. Doch gleichzeitig wusste er auch, dass das Rudel ihn und die anderen Welpen bis auf den Tod verteidigen würde. Für die jungen Wölfe war Nelson einer der ihren, vielleicht eine Art schwächere Version ihrer selbst, einer, der leichter umfiel als sie und rascher müde wurde. Doch er spielte genauso wie sie. Er nahm ihre kleinen Gliedmaßen zwischen die Kiefer und biss sanft hinein. Er zog sie an den Ruten. Er sprang auf sie drauf. Und sie erwiderten sein Spiel. Es lag ebenso in seiner Natur wie in der ihren. Was Nelson nicht wusste, war, dass all dieses Spielen, das von der Wolfsmutter angeleitet wurde, nur ein Training für den Tag war, an dem sie andere Tiere töten würden.
Am frühen Abend zogen der Wolfsvater und die anderen erwachsenen Wölfe in der Dämmerung los. Dann knurrte die Wolfsmutter ihre Welpen leise an, und schon bald hatten sie gelernt, beim Spielen ein wenig näher bei ihr zu bleiben, während sie stets ein aufmerksames Auge auf sie hatte. Eines Nachts kam Nelson winselnd zu ihr gelaufen, weil ihm die starke und unangenehme Witterung eines Kojoten in die Nase gestiegen war. Auch die Wolfsmutter hatte ihn gerochen und schaute mit kalten, stahlgrauen Augen prüfend ins Unterholz. Ihr lautes Heulen durchdrang die Nacht, und die jungen Wölfe taten es ihr nach. Doch das konnte den Kojoten, der in der Nähe war, nicht abschrecken, denn er hatte Hunger, und ein Wolfsjunges war ein köstliches Abendessen. Nelson verbarg sich zitternd hinter dem großen, grauen Körper der Wölfin, als der zerzauste und schmutzige Kojote aus dem nahen Unterholz trat. Er war sogar mit demjenigen, der versucht hatte, Lucy zu töten, weitläufig verwandt.
Die beiden wilden Caniden starrten sich an, doch die Wolfsmutter wartete den Angriff des Kojoten nicht ab, sondern setzte zum Sprung an und landete mehr als zwei Meter näher bei dem Kojoten. Nelson fürchtete sich, als er zum ersten Mal diese wütende, wilde Kreatur erlebte, die in der Wolfsmutter steckte. Sie fletschte wild die Zähne, und ihre riesigen Kiefer öffneten und schlossen sich laut. Ohne sich beeindrucken zu lassen, knurrte der Kojote zurück und machte einen Schritt vorwärts. Die Wolfsmutter zögerte nicht, sondern machte noch einmal einen Satz und packte den Kojoten im Genick. Winselnd
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