Nelson sucht das Glück
verschwand er im Gebüsch. Die Wölfin heulte noch einmal, und die Jungen stimmten in ihr Geheul ein. Minuten später kehrten der Wolfsvater und die anderen Rudelmitglieder zurück. Wie Sänger in einem urzeitlichen Chor hatten die Wölfe beim Heulen verschiedene Stimmlagen und schlugen so manchen uralten und leidenschaftlichen Akkord an, der weit in der Wildnis widerhallte. Ohne es zu merken, stimmte Nelson in diesen wölfischen Chor mit ein. Es war seine uralte Verwandtschaft mit diesen Kreaturen, die ihm keine Wahl ließ. Für den Kojoten, der vor den Wölfen davonlief, war die Botschaft klar, als ihr Geheul ihm in den Ohren tönte. Ein Tier, das das Revier von Wölfen mit aggressiven Absichten betrat, würde niemals eine höfliche Antwort bekommen.
Nach diesem Vorfall war Nelson immer auf der Hut, wenn die anderen Wölfe auf die Jagd gingen. Er kannte die Gefahren, vor denen sich die Wolfsmutter fürchtete. Von einem Moment auf den anderen konnten ihre Kinder gefressen werden und für immer verschwinden. Die Welpen begriffen noch nicht, was Angst bedeutete, und spielten einfach sorglos weiter. Nelson spielte mit ihnen, doch er hatte schon genug von den Schrecken der Welt gerochen und war stets von einer verborgenen Angst erfüllt. Dennoch war er der Wolfsmutter für ihren Schutz dankbar.
Etwa jede zweite Nacht kamen der Wolfsvater und die anderen Wölfe mit Beute zurück. Manchmal handelte es sich dabei nur um ein Bergkaninchen oder einen kleinen Biber, den sie nach Hause trugen. Doch es kam auch vor, dass das Rudel eine Ziege oder einen jungen oder auch kranken Elch oder ein Reh gemeinsam in den Bau zog. Zuerst taten sich dann die Wolfseltern an den Eingeweiden des Wilds gütlich, doch als die Wochen ins Land gingen, ermutigten sie allmählich auch die Jungen dazu, das rohe Fleisch zu probieren, bevor die anderen Wölfe am Festmahl teilnehmen durften. Die Welpen reagierten auf die toten Tiere, die ihre Nahrung darstellten, mit der gleichen spielerischen Unbeschwertheit, die sie untereinander an den Tag legten. Sie zerrten mit den Zähnen am Gerippe und an dem blutigen Fleisch, als wäre es etwas zum Spielen. Nach einer gewissen Zeit knurrten der Wolfsvater und die Mutter, und die anderen Wölfe übernahmen den Fressplatz der kleinen Wölfe. Ganz allmählich gewöhnten sich so die Mägen der Welpen an die neue Kost, und sie begannen den Geruch nach blutigem Fleisch dem Hochgewürgten vorzuziehen, das ihnen ihre Mutter immer seltener verabreichte.
Auch Nelson fraß von dem roten Fleisch an den Knochen der erlegten Tiere, die die Wölfe in ihren Bau brachten, doch eigentlich fand er keinen Geschmack daran. Mit sieben Jahren war er ein ausgewachsener Hund, vielleicht begann er sogar bereits ein wenig alt zu werden. Sieben Jahre lang hatte er hauptsächlich das gefressen, was Menschen zubereitet hatten, und sein Magen war daran gewöhnt. An dem Tag, als er zum ersten Mal rohes Fleisch gegessen hatte, musste er sich übergeben, und die Welpen fraßen das, was er hochgewürgt hatte. Danach probierte er immer wieder einmal kleine Stücke rohen Fleisches, doch er bevorzugte das körperwarme Halbverdaute, das die Wolfsmutter erbrach.
An den Geruch von Blut gewöhnte sich Nelson rasch. Er war überall: an den Gerippen der Tiere, die die Wölfe zu ihrem Ruheplatz zerrten, an den Zähnen der erwachsenen Wölfe. Und oft hatten sie auch Blut auf ihrem Fell. Nelson witterte die Erregung der Wölfe, wenn der Geruch von frischem Blut in der Luft hing. Woher genau die Verzückung kam, die sie dann erfüllte, verstand er zwar nicht ganz, aber er akzeptierte sie. Der Geruch von Blut war für ihn voller Leben. Das Blut eines jeden Lebewesens war anders, und es gehörte zu seiner Existenz untrennbar dazu. Es war ein Geruch, dem er während der Zeit, die er in menschlichen Siedlungen verbracht hatte, nicht oft begegnet war.
Manchmal spürte Nelson, dass Ärger in der Luft lag, wenn die anderen erwachsenen Wölfe dabei zusahen, wie ihnen die Welpen beim Fressen vorgezogen wurden. Eines Tages sprang der erwachsene Wolf mit dem weißen Streifen Nelson an, als er noch vor den ausgewachsenen Rudelmitgliedern Anstalten machte, zu fressen, doch er erntete dafür ein rasches Schnappen vom Wolfsvater. Die Rangordnung im Rudel war streng und eindeutig. Die Wölfe bildeten eine Einheit, die einwandfrei funktionierte, und ein Wolf, der es wagte, diese Hierarchie zu durchbrechen, wurde sofort in seine Schranken verwiesen. Die Wolfseltern waren
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