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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein Internat untergebracht. Aber die allermeiste Zeit über war es ein Kloster.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Ed spöttisch. »Internet oder öffentliche Bibliothek?«
    »Allgemeinbildung«, antwortete Maria. Schlagfertig war sie, das musste man ihr lassen. Unglücklicherweise reichte ihr Mut nicht einmal lange genug, wie sie brauchte, um die Worte auszusprechen. Ihre Stimme zitterte schon wieder und sie hielt Eds breitem Grinsen nicht stand.
    »Hehe!«, sagte Ellen. »Keinen Streit, ihr zwei. Das ist wirklich nicht der richtige Moment.«
    »Und auch nicht die richtige Umgebung, finde ich«, pflichtete ihr Judith bei. Sie rückte näher an mich heran, schlang die Arme um den Oberkörper und fröstelte übertrieben. Es war kühl, aber keineswegs so kalt. »Ihr könnt sagen, was ihr wollt, aber ich finde es hier unheimlich.«
    »Wenn ihr mich fragt, ist das hier alles inszeniert«, sagte Stefan. »Einschließlich unseres kauzigen Fahrers. Ich weiß zwar nicht, was das soll, aber ich habe das Gefühl, dass nichts von alledem echt ist.«
    »Flemming war jedenfalls echt tot«, sagte Ellen. »Das kann ich euch versichern.«
    »Sogar so etwas kann man fälschen, oder?«, fragte Judith.
    Sie sah Ellen dabei jedoch nicht direkt an, sondern blickte unbehaglich in die Runde. Da wir alle im Scheinwerferkegel des Wagens standen, konnte ich sehen, dass sich die feinen Härchen auf ihrem Handrücken und in ihrem Nacken aufgerichtet hatten. Sie fror tatsächlich. »Ein paar Spezialeffekte, wie im Film, ein guter Schauspieler …«
    »Er müsste schon verdammt gut sein«, sagte Ellen. »Kein Puls, kein Herzschlag, dafür jede Menge Blut in den Augäpfeln — ich würde sagen, der Typ ist reif für mindestens drei Oscars.« Sie lachte, ganz leise, aber so verächtlich, dass ich sie allein dafür schon beinahe hasste. »Ich bin Ärztin, Schätzchen.«
    »War ja nur eine Idee«, verteidigte sich Judith. Sie fröstelte erneut und trat noch näher an mich heran. Ich konnte sehen, dass sie wirklich erbärmlich fror, und ich konnte ebenso deutlich sehen, dass sie nur darauf wartete, dass ich den Arm um sie legte, um sie zu wärmen. Warum eigentlich nicht? Abgesehen von vielleicht zehn oder fünfzehn Pfund Übergewicht war sie eigentlich ganz niedlich. Und sie war leichte Beute.
    Die Tür über uns ging auf und Zerberus erschien. »Ihr könnt kommen«, sagte er. »Ist alles vorbereitet.«
    »Bescherung«, spöttelte Ed. »Ich hoffe, die Kerzen am Weihnachtsbaum brennen schon.«
    Er schnippte seine Zigarette davon, und ich blickte —
    missbilligend, wie ich hoffte — dem winzigen Funken sprühenden roten Stern nach, bis er irgendwo hinter uns auf dem Hof aufschlug und auseinander platzte. Aber ich war nicht ganz sicher, ob ein Teil von mir nicht eher gierig blickte. Ein ziemlich großer Teil. Mein Nikotinspiegel war auf ein bedrohliches Maß herabgesunken. Ich war noch nicht so weit, der Kippe hinterherzulaufen, um sie aufzuheben und einen Zug daraus zu nehmen, aber auch nicht mehr so weit davon entfernt …
    Ellen wollte nach ihrer Tasche greifen, aber Zerberus machte eine befehlende Geste. »Lasst das Zeug einfach stehen. Ich bringe es gleich nach oben.«
    »Na, das nenne ich Service«, griente Ed. »Wir sind ja richtig lernfähig, wie?«
    Der Wirt machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten, sondern trat einen Schritt zurück und zog die Tür dabei weiter auf. Der Raum dahinter war genauso dunkel wie der Hof. Wahrscheinlich, dachte ich amüsiert, würde Zerberus im gleichen Moment, in dem er in diese Dunkelheit hineintrat, zu einem buckeligen Alten mutieren, dessen schütteres graues Haar strähnig bis auf die Schultern fiel und der eine flackernde Gaslaterne in der Hand hielt, während er gebückt vor uns herschlurfte und uns tiefer und tiefer in ein Labyrinth aus Sälen und Gängen hineinführte, in dem riesige staubverklebte Spinnweben wie löcherige graue Segel von der Decke hingen und uralte Rüstungen standen, die sich immer dann bewegten, wenn man gerade nicht hinsah.
    Aber eigentlich dachte ich diesen Gedanken gar nicht amüsiert. Ich redete mir selbst — und für ein paar Sekunden sogar mit Erfolg — ein, dass es so war, aber im Grunde hatte ich fast panische Angst davor, dass ganz genau das passieren würde, sobald ich durch die riesige Tür trat. Die Vorstellung war vollkommen absurd, aber seit ich diesen sonderbaren Ort betreten hatte, geschahen eine Menge absurder Dinge. Crailsfelden schien nicht nur am Ende der

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