Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht
Welt zu liegen, sondern irgendwie einen halben Schritt daneben. Vielleicht galt Logik ja hier nicht mehr und vielleicht war das Gefühl, dass in der Dunkelheit auf der anderen Seite der Tür etwas auf uns lauerte, nicht nur bloße Einbildung.
Und das war es auch nicht. Es war Hysterie. Gute, alte, handfeste Hysterie. Nicht mehr und nicht weniger.
Um mir selbst zu beweisen, wie mutig ich war, griff ich schneller aus und überholte Ellen und Ed auf den letzten Stufen der Treppe, bevor ich durch die Tür trat.
Der Raum dahinter war nicht ganz so dunkel, wie ich erwartet hatte. Das grelle Licht der Autoscheinwerfer hatte den mattgrauen Schein ausgelöscht, der die Halle erfüllte, aber hier drinnen reichte er allemal aus, um mich erkennen zu lassen, dass Zerberus immer noch Zerberus war, nicht der Frack tragende Butler aus der Rocky Horror Picture Show. Ich konnte noch immer wenig sehen, aber das unbestimmte Gefühl von Weite und die hellen Hackenden Echos unserer Schritte verrieten mir doch etwas über die Größe des Raumes; vermutlich eine jener weitläufigen Eingangshallen, wie man sie manchmal auf Burgen oder in alten Herrenhäusern findet. In alten Klöstern eigentlich auch? Ich musste gestehen, dass ich keine Ahnung hatte, und nahm mir vor, Maria bei Gelegenheit danach zu fragen.
Nach wenigen Schritten schon hatten sich meine Augen an das schwache Dämmerlicht hier drinnen gewöhnt, sodass ich zumindest ein paar Schemen erkennen konnte. Die Halle war so groß, wie ich angenommen hatte, und schien vollkommen leer zu sein. Zerberus steuerte eine breite, weit geschwungene Treppe an, die von der gegenüberliegenden Seite der Halle aus weiter nach oben führte, ging dann aber daran vorbei und öffnete eine Tür, die bisher in der Dunkelheit verborgen gewesen war. Gelbes Licht fiel in die Halle heraus und zeigte mir, dass der Boden in schwarzweißem Schachbrettmuster gefliest war. Ein leichter Brandgeruch hing in der Luft; nicht frisch, sondern jener bestimmte Geruch, der sich in Zimmern einnistet, in denen über lange Jahre hinweg mit Kohleöfen oder einem offenen Kamin geheizt worden war.
Judith, die irgendwie wieder zu mir aufgeschlossen hatte und neben mir herging, beschleunigte ihre Schritte, als hätte sie Angst, dass Zerberus die Tür hinter sich schließen und uns allein und wehrlos in dieser wattigen Finsternis zurücklassen könnte.
Und so albern ich diesen Gedanken auch fand, ging ich natürlich ebenfalls schneller; wenn auch selbstverständlich nur, um nicht zurückzufallen und als Letzter die Tür zu erreichen oder womöglich sogar den Anschluss zu verlieren.
Ich war schon immer gut darin, mir selbst etwas vorzumachen.
Trotzdem war ich der Letzte, der hinter Judith durch die Tür trat — wenn auch in so geringem Abstand, dass ich ihr beinahe in die Hacken getreten wäre. Ich selbst hatte keine konkrete Vorstellung von dem gehabt, was wir antreffen würden, aber ich war dennoch fast enttäuscht. Hinter der Tür lag nichts Aufregenderes als eine große, nahezu leere Küche, deren Ausstattung aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren zu stammen schien — soweit sie noch vorhanden war, hieß das. Die meisten Möbel waren weggebracht worden und hatten rechteckige helle Schatten auf dem Laminatfußboden hinterlassen, samt den dazugehörigen Schmutzrändern an den Wänden. Übrig geblieben war lediglich ein uralter, monströs großer Gasherd, dem ich nicht einmal dann vertraut hätte, hätte er noch original verpackt und mit einem Sicherheitszertifikat des Herstellers vor mir gestanden, und ein riesiger zweitüriger Kühlschrank, der nur auf den ersten Blick alt aussah — Fünfzigerjahre-Design, aber vermutlich nagelneu. Nur wenige Schritte hinter der Tür stand ein wuchtiger Holztisch mit einer ausziehbaren Platte, an dem bequem ein Dutzend Personen Platz gefunden hätten. Es gab allerdings nur acht Sitzgelegenheiten: billige Plastikstühle, wie man sie in den Gartenabteilungen großer Baumärkte und Blumenhandlungen findet.
»Gemütlich«, sagte Ed. »Ich bin beeindruckt. So einen luxuriösen Empfang hätte ich mir gar nicht vorgestellt.«
»Setzt euch«, sagte Zerberus knapp. »In der Kanne ist Kaffee. Ich bin gleich zurück.«
»Nicht so schnell.« Ed vertrat ihm mit einer raschen Bewegung den Weg. »Was soll das alles hier? Sie haben uns doch nicht den Weg hier raufgekarrt, damit wir Kaffee trinken.«
Zerberus zog die Augenbrauen zusammen und trat einen halben Schritt auf Ed zu, aber der wich
Weitere Kostenlose Bücher