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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kurve über den mit grobem Kopfstein gepflasterten Innenhof, sodass ich erneut gegen Judith geschleudert wurde und sie japsend nach Atem rang.
    Hier drinnen war es womöglich noch dunkler als draußen.
    Alles, was das schwache Licht der Scheinwerfer enthüllte, war ein allgemeiner Eindruck von Verfall und Alter. Wenn das hier tatsächlich einmal ein Internat gewesen war, dachte ich, dann wohl zu einer Zeit, als Bücher noch nicht gedruckt, sondern ausnahmslos mit der Hand geschrieben wurden.
    Vor einer ausladenden Freitreppe mit einem ehemals sicher prachtvollen, jetzt aber halb verfallenen steinernen Geländer hielten wir an. Zerberus zog den Zündschlüssel ab, stieg aus und ging schnaufend zwei Stufen weit die Treppe hinauf, bevor er wieder stehen blieb und sich zu uns herumdrehte. Er hatte die Fahrertür offen gelassen. Eisige Nachtluft und Nässe wehten zu uns herein.
    »Worauf wartet ihr?«, fragte er ungeduldig. »Ich sage Bescheid, dass ihr da seid. Ladet schon mal das Gepäck aus.
    Ich kann das Lokal nicht unbegrenzt geschlossen halten.«
    »Ich denke, Flemming hat es für den ganzen Abend gemietet«, murrte Stefan.
    »Und außerdem habe ich keine Lust, hier zu übernachten«, versetzte Zerberus.
    »Wer hat das schon?«, fragte Ed. Irgendwie gelang es ihm, seine Arme so weit auseinander zu falten, dass er den Türgriff auf seiner Seite erreichen und aufziehen konnte. Er stieg aus, atmete übertrieben erleichtert auf und übersah geflissentlich die Mühe, die es Judith bereitete, hinter ihm aus dem Wagen zu krabbeln und dabei ihre Reisetasche hinter sich herzuziehen. Ich selbst stieg auf der anderen Seite aus, trug mein Gepäck zur Treppe und setzte es auf der untersten Stufe ab, bevor ich noch einmal zum Landrover zurückging, um Maria bei ihrem Überseecontainer zu helfen.
    Es war nicht nötig. Stefan hatte sich irgendwie aus dem Wagen herausgebeamt und zog das transportable Möbelstück ohne die geringste Mühe hinter sich ins Freie. Es klapperte, als er den Koffer zu Boden setzte. Zum ersten Mal fragte ich mich, was um alles in der Welt eigentlich in diesem Riesenkoffer war. Flemming war in diesem Punkt ziemlich deutlich gewesen: nur das Allernotwendigste.
    Unterwäsche, Zahnbürste, Medikamente. Ich trat einen Schritt zurück und sah dabei zu, wie Maria ungeschickt über die umgeklappte Rückenlehne der mittleren Sitzbank kletterte, um aus dem Wagen zu kommen. Unterwäsche, die klapperte? Maria Graumaus war durchaus der Typ, dem ich zugetraut hätte, einen Keuschheitsgürtel zu tragen … aber wozu?
    Meine Hand schmerzte wieder. Gedankenverloren rieb ich mit dem Daumen über die pochende Stelle und ließ meinen Blick über den Hof schweifen, während ich zu den anderen zurückging.
    Das Ergebnis meiner Musterung war allerdings höchst mager. Zerberus hatte die Scheinwerfer brennen lassen, sodass ein Teil der Treppe und die darüberliegende Tür erhellt wurden, doch alles andere war dafür in umso tiefere Dunkelheit getaucht, als lieferten die Scheinwerfer gar nicht wirklich Licht, sondern saugten nur die Helligkeit aus der Umgebung, um sie auf einen Punkt zu konzentrieren.
    Die Dunkelheit ringsum war dafür umso intensiver.
    Ich verscheuchte den Gedanken und versuchte ihn als so lächerlich abzutun, wie er auch war. An dieser Dunkelheit war ganz und gar nichts Übernatürliches. Der Himmel war bewölkt und der Hof an allen Seiten von Mauern umgeben.
    Nirgendwo brannte ein Licht. Es war dunkel, das war alles.
    Jedenfalls redete ich mir das ein.
    Als ich die Treppe erreichte, zündete sich Ed umständlich eine Zigarette an. Der Anblick weckte auch meinen Appetit auf eine, aber ich hatte keine mehr, und bevor ich ausgerechnet Ed darum bat, hätte ich lieber auf einer alten Schuhsohle herumgekaut.
    »Was für ein Gemäuer!« Ed nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und sah sich mit übertriebener Gestik um — als ob er mehr sehen könnte als wir. »Willkommen auf Schloss Frankenstein.«
    »Frankenstein hat in einem ganz normalen Haus gelebt und sein Labor war in einem alten Wachturm«, berichtigte ihn Maria, »nicht in einem Schloss.« Sie stellte ihren Koffer ab — Stefans Höflichkeit war nicht so weit gegangen, das zentnerschwere Gepäckstück bis zur Treppe zu tragen — und maß Ed mit einem fast herablassenden Lächeln.
    »Das hier ist kein Schloss. Im späten fünfzehnten Jahrhundert hat es kurzzeitig als Festung gedient und wurde entsprechend umgebaut und seit den frühen Sechzigern war hier

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