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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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sogar froh gewesen, Ed zu sehen. Wenn auch vielleicht nicht lange.
    Judith drehte sich halb herum, um die Tür zu schließen (ich wünschte mir, sie hätte es nicht getan, auch wenn ich beim besten Willen nicht sagen konnte, warum), wandte sich dann wieder in meine Richtung und rief: »Fang!«
    Irgendetwas flog auf mich zu, und ich riss ganz instinktiv die Arme in die Höhe, um es zu fangen.
    Natürlich griff ich daneben. Judiths heimtückisches Wurfgeschoss — das sich als nichts Gefährlicheres als eine Dose Cola entpuppte — prallte schmerzhaft gegen meine Fingerspitzen und fiel zu Boden, und noch während ich mich hastig danach bückte, konnte ich aus den Augenwinkeln sehen, wie Judith zum Bett schlenderte und sich im Schneidersitz darauf niederließ. Ich war nicht sicher, ob sie über meine Ungeschicklichkeit lachte, aber wahrscheinlich tat sie es.
    Weitaus umständlicher als notwendig gewesen wäre hob ich die Coladose auf und überzeugte mich davon, dass sie noch dicht genug war, um sie halbwegs ungefährdet aufreißen zu können und nicht mit einer Dusche aus klebriger Coca-Cola belohnt zu werden. Die gewonnene Zeit nutzte ich, um meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bringen. Irgendetwas in mir war der festen Überzeugung gewesen, dass der Leibhaftige unter der Tür erschienen war, als Judith hereinkam, und sosehr ich mich auch dagegen zu wehren versuchte, diese völlig widersinnige Furcht war immer noch da — aber das musste Judith mir ja nicht unbedingt ansehen. Schon weil sie möglicherweise eine entsprechende Frage gestellt hätte, die ich ganz bestimmt nicht beantworten wollte.
    »Danke«, sagte ich unbeholfen.
    »Die habe ich geklaut«, antwortete Judith grinsend.
    »Vorhin, unten in der Küche. Für uns.« Sie fuchtelte triumphierend mit einer zweiten Coladose herum, riss den Verschluss mit einer gekonnten Bewegung auf und tat so, als würde sie mir damit zuprosten. Aber sie trank nicht — vielleicht schon, weil ich selbst keine Bewegung machte, um meine eigene Dose aufzureißen, sondern sie nur ein wenig hilflos anstarrte.
    »Ich störe auch wirklich nicht?«, vergewisserte sich Judith.
    »Wie kommst du darauf?«
    Ein Schulterzucken. »Nur so … du siehst irgendwie … blass aus.«
    Sah man es mir tatsächlich so deutlich an? Ich rettete mich ebenfalls in ein Achselzucken, das aber noch nicht einmal mich selbst zu überzeugen vermochte, geschweige denn irgendjemand anderen. »Du hast es doch gerade selbst gesagt: Das hier ist das reinste Spukschloss.«
    »Ein wahres Wort.« Judith sah sich mit übertriebenen Bewegungen im Zimmer um. »Und in diesen heimeligen Zimmern hat also die Elite unseres Landes ihre Ausbildung genossen? Kein Wunder, dass die meisten von ihnen eine gehörige Macke haben.« Sie schauderte übertrieben. »Mich würden keine zehn Pferde in ein solches Zimmer kriegen.
    Und schon gar nicht allein.«
    »Wenn ich nichts Wichtiges verpasst habe, dann bist du in einem solchen Zimmer«, antwortete ich.
    »Ich sagte: keine zehn Pferde, nicht keine zehn Millionen«, verbesserte mich Judith. Sie blinzelte mir zu. »Und ich bin ja auch nicht allein.«
    Gut, den letzten Satz würde ich einfach überhören.
    »Aber es bleibt dabei: Irgendwie ist es unheimlich hier«, fuhr sie fort. »Und weißt du, was das Verrückteste ist?
    Nein? Ich habe das Gefühl, schon mal hier gewesen zu sein.«
    Ich starrte sie an. Was hatte sie da gesagt?
    Ganz offensichtlich mussten sich meine Gedanken mehr als deutlich auf meinem Gesicht abzeichnen, denn Judith sah mich nur einen Moment lang stirnrunzelnd an, dann nickte sie. »Du also auch.«
    »Nein«, antwortete ich impulsiv, zuckte dann mit den Schultern und gestand in etwas weniger erschrockenem Ton: »Oder doch, ja. Das heißt … nicht genau. Ich meine: Ich weiß genau, dass ich noch niemals hier gewesen bin, aber trotzdem —«
    »— kommt dir das alles hier irgendwie bekannt vor«, fiel mir Judith ins Wort. Sie klang jetzt regelrecht triumphierend. »Weißt du, woher das kommt?«
    »Nein.«
    »So etwas ist gar nicht so selten«, antwortete Judith. »Ich habe vor ein paar Wochen einen interessanten Bericht über genau dieses Thema in einer Zeitschrift gelesen. Das hier sieht genau so aus, wie wir glauben, dass ein Internat auszusehen hat. Immerhin kennen wir es aus tausend Filmen und Büchern, und manchmal fängt unsere Erinnerung eben an, uns Streiche zu spielen. Wir erinnern uns an Dinge, die wir in Wirklichkeit gar nicht erlebt haben, und

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