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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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würden jeden Eid schwören, dass es genau so war.«
    Ich verzichtete vorsichtshalber darauf, Judith zu fragen, in welcher Zeitschrift sie diesen Artikel gelesen hatte. Immerhin begriff ich ungefähr, was sie meinte, und wahrscheinlich lag sie damit gar nicht einmal so falsch — auch wenn dieses Zimmer hier ganz bestimmt nicht so aussah, wie ich mir ein typisches Zimmer in einem typischen Internat vorgestellt hatte. Aber es war eine weitere Erklärung, und eigentlich war sie auch nicht wesentlich schlechter als die, die ich mir selbst zurechtgelegt hatte.
    Judith sah mich eine geraume Weile lang erwartungsvoll an. Als ich ihr nicht den Gefallen tat, auf ihre abenteuerliche Theorie einzugehen und mich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, das ich ganz bestimmt nicht führen wollte, hob sie die Schultern, ließ sich mit einem wenig gekonnt geschauspielerten Seufzen mit Hinterkopf und Schultern gegen die Wand über meinem Bett sinken und griff unter ihren Pullover. Sie kramte ein paar Sekunden lang herum. Als sie die Hand wieder hervorzog, glitzerte eine Flasche Wodka darin; eins von diesen schmalen Dingern, die wie Flachmänner aussehen und auch demselben Zweck dienen, nämlich sie unauffällig in der Jackentasche oder auch unter einem beliebigen anderen Kleidungsstück zu transportieren.
    »Auch einen Schluck?«
    Eigentlich wollte ich nichts trinken und im Grunde war mir nicht einmal mehr nach Gesellschaft. Aber mir war auch noch viel weniger nach Alleinsein. »Warum nicht?«
    Ich kapitulierte, riss die Coladose auf und wurde mit einem hellen Zischen und einem klebrig braunen Sturzbach aus Schaum belohnt, der sich über meine Finger ergoss und auf meine Schuhe tropfte. Judiths Grinsen nach zu urteilen hatte sie auf nichts anderes gewartet. Ich fragte mich, ob sie mir die Dose vielleicht absichtlich so zugeworfen hatte, dass ich gar nicht anders konnte, als sie fallen zu lassen.
    Allerdings gab ich ihr nicht die Genugtuung, irgendwie darauf zu reagieren, sondern wischte mir lediglich die klebrige Brühe von der Hand und hielt ihr die Dose hin.
    Abtrinken musste ich nicht mehr. Gut die Hälfte dessen, was zuvor in der Dose gewesen war, klebte jetzt auf meinen Schuhen.
    »Haben wir denn etwas zu feiern?«, fragte ich vorsichtig.
    »Haben wir nicht?« Judith opferte gut ein Drittel des Inhaltes ihrer Flasche, um die Dose in meiner Hand wieder aufzufüllen, trank einen gewaltigen Schluck aus ihrer eigenen und verfuhr dann ebenso damit. »Ich meine, immerhin sind wir den Millionen ein gutes Stück näher als noch vor einer Stunde, oder? Von gestern gar nicht zu reden.«
    »Findest du?« Ich nippte vorsichtig an meinem Getränk und beschloss, es bei diesem einen Schluck zu belassen. Ich habe nichts gegen ein Bier dann und wann oder auch ein paar mehr, aber harte Sachen waren noch nie mein Ding und heute schon gar nicht. Nicht an diesem sonderbaren Ort und nicht, wo meine Kopfschmerzen gerade auf ein erträgliches Level zurückgegangen waren.
    »Du etwa nicht?« Judith nahm einen weiteren gewaltigen Schluck des Wodka-Cola-Gemischs, das sich jetzt in ihrer Dose befand, legte den Kopf auf die Seite und sah mich erwartungsvoll an. Sie kicherte albern. »Ich meine: Du glaubst doch nicht, dass die anderen eine Chance gegen ein Traumpaar wie uns haben, oder?«
    Fast gegen meinen Willen musste ich ebenfalls lachen.
    »Für dich scheint die Konstellation ja schon festzustehen«, antwortete ich.
    »Wenn du mich fragst, ja«, sagte Judith. Sie lachte immer noch, aber es fiel mir plötzlich schwer, ihre Worte als reines Herumgeflachse aufzufassen. »Ich meine: Stefan und Ellen sind ja nicht nur wie füreinander geschaffen, und du und die Heilige Maria, das kann ich mir nun beim besten Willen nicht vorstellen. Bleiben nur du und ich übrig — es sei denn, du entdeckst plötzlich deine Vorliebe für das andere Geschlecht und Ed und du adoptiert ein paar Kinder.
    Das soll ja heutzutage möglich sein.«
    »Das ist es«, antwortete ich ernsthaft, obwohl ich wusste, dass wir damit gegen die Bedingungen des Testaments verstießen. Noch ernster und mit einem bewusst nachdenklich aufgesetzten Gesichtsausdruck fuhr ich fort: »Obwohl
    — wenn ich so darüber nachdenke, gefällt mir Stefan doch besser. Ich habe schon immer auf die großen, kräftigen Typen gestanden, weißt du?«
    »Kräftig bin ich auch«, antwortete Judith. »Nur wachsen werde ich wahrscheinlich nicht mehr …« Sie zog eine Schnute. »Wenigstens nicht in die richtige

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