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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Kein Gericht der Welt würde dieses so genannte Testament anerkennen. Vermutlich würde es damit enden, dass keiner von uns etwas bekommt und das ganze Erbe dem Roten Kreuz überschrieben wird, falls es sich nicht gleich das Finanzamt krallt.«
    »Vielleicht ist das ja genau der Sinn der Sache«, antwortete Judith. »Dass das Finanzamt es nicht kriegt.«
    »Das hätte er einfacher haben können«, beharrte ich.
    »Und sicherer.«
    Judith trank wieder von ihrem Wodka-Cola-Gemisch, runzelte die Stirn und schüttete nach kurzem Zögern auch noch den verbliebenen Rest aus ihrer Flasche in die Dose.
    »Wo ist eigentlich dein Zimmer?«, fragte ich.
    »Gleich nebenan.« Judith machte eine entsprechende Kopfbewegung. »So weit weg von Ed wie nur möglich — aber warum fragst du?«
    »Weil ich keine Lust habe, dich ins Bett zu tragen, und auch nicht im falschen Zimmer landen will, wenn ich ins Bett gehe.«
    »Und was ist mit deinem?«
    »Wenn du das da ausgetrunken hast«, antwortete ich mit einer entsprechenden Geste auf die Getränkedose in ihrer Hand, »müsstest du eigentlich umfallen und wie ein Stein schlafen.«
    »Wenn du dich da mal nicht täuschst«, antwortete Judith unerwartet scharf. Anscheinend schärfer, als sie selbst beabsichtigt hatte, denn sie sah plötzlich wieder verlegen aus. Dann rettete sie sich in ein albernes Kichern und zog einen übertriebenen Schmollmund. »Außerdem war das nicht nett. So spricht man nicht mit einer Dame.«
    »Stimmt«, antwortete ich. »Aber das könnte daran liegen, dass du keine bist.«
    »Aber ich bin auch nicht so schwer. Warum kommst du nicht her und probierst es aus?«
    »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre«, sagte ich ruhig. »Versteh mich nicht falsch, Judith — du bist ein nettes Mädchen, aber mir ist heute einfach nicht nach mehr als Reden.«
    Erstaunlicherweise nahm Judith diese Abfuhr weitaus gelassener hin, als ich jemals einen Korb hingenommen hatte — und ich hatte eine Menge davon kassiert. Sie wirkte weder beleidigt noch verletzt, sondern hob nur mit einem ganz leicht enttäuscht klingenden Seufzen die Schultern.
    »Vielleicht hast du sogar Recht«, sagte sie nach einem weiteren Schluck, »und es ist keine gute Idee — heute.
    Aber du bist mir eine Revanche schuldig, das ist dir doch klar?«
    »Selbstverständlich«, erwiderte ich mit großem Ernst.
    »Ich schleiche noch heute Nacht runter in die Küche und klaue zwei Dosen Cola für jeden von uns. Auch wenn ich dabei Gefahr laufe, Zerberus über den Weg zu laufen.
    Wenn ich also nicht wiederkomme, musst du wohl oder übel mit Ed vorlieb nehmen.«
    »Wieso nennst du ihn eigentlich immer Zerberus?«, erkundigte sich Judith.
    »Carl?« Ich grinste. Nachdem dieser eine Punkt zwischen uns geklärt — oder zumindest ausgesprochen — war, fühlte ich mich plötzlich deutlich entspannter. »Weil ich finde, dass Zerberus viel besser zu ihm passt. In der griechischen Mythologie war Zerberus ein dreiköpfiger Höllenhund, der den Eingang zur Unterwelt bewachte.«
    »Griechische Mythologie.« Judith machte ein beeindrucktes Gesicht, aber ich glaubte ihrer Miene nicht ganz.
    Sie war sicher kein weiblicher Einstein, aber sie war auch alles andere als ungebildet oder gar dumm. »Verstehst du was von solchen Dingen?«
    »Nur was ich in Comics gelesen habe«, antwortete ich.
    »Aber ich habe eine Menge Comics gelesen.«
    Diesmal währte der schräge Blick, mit dem sie mich maß, schon deutlich länger, und ich las auch eine sichtbare Spur von Verwirrung in ihren Augen. Vielleicht war ich nicht der Einzige im Raum, der den anderen zu durchschauen begann. »Außerdem habe ich das gar nicht gemeint«, sagte sie schließlich.
    »Ich weiß, was du gemeint hast. Und ich komme auf dein Angebot zurück. Ich wäre ja dumm, es nicht zu tun.« Ich seufzte. »Manchmal ist es schon ein Kreuz, im einundzwanzigsten Jahrhundert zu leben.«
    »Wieso?«
    »Weil es früher das Vorrecht von uns Männern war, euch Frauen mit solchen Anträgen in Verlegenheit zu bringen.«
    »Tja, so ändern sich die Zeiten.« Judith grinste schadenfroh, trank den Rest aus ihrer Dose und stand mit einer so schwungvollen Bewegung auf, dass sie einfach keinem anderen Zweck dienen konnte, als mir zu beweisen, wie stocknüchtern sie noch war. Natürlich ging es schief. Sie hätte fast das Gleichgewicht verloren und wäre wahrscheinlich wirklich gestürzt, wäre das Zimmer nur eine Spur breiter gewesen. So konnte sie gerade noch den Arm ausstrecken

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