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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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Handgelenk und maß mich mit einem sorgenvollen Blick; dann aber wandte sie sich wieder Carl und Stefan zu, und ich registrierte zweierlei: Die Vision konnte nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert haben, denn die beiden standen noch in völlig unveränderter Haltung da, wie Figuren aus einem Film, der für einen Moment angehalten worden war und nun mit einem Ruck weiterlief, und das andere war eine bizarre ... Enttäuschung, dass die Schere in Stefans Hand noch immer nicht zum Einsatz gekommen war. Etwas in mir wollte, dass er es tat.
    Stefan trat einen weiteren Schritt vor, mit dem er nun endgültig bei Carl anlangte, und ging, immer noch mit der Schere in der Luft herumklappernd, langsam und mit breitem Grinsen vor ihm in die Hocke. Carl warf sich so verzweifelt zurück, dass der billige Plastikstuhl ächzte und ich nicht weiter erstaunt gewesen wäre, ihn in Stücke brechen zu sehen. Judith schlug sich mit einem Keuchen die linke Hand vor den Mund.
    »Stefan!«, schrie sie. »Bist du wahnsinnig geworden?
    Hör auf!«
    Stefan machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu ihr herumzudrehen. »Bring deine Kleine zum Schweigen, Frank«, knurrte er. »Bevor ich es tue.«
    »Wie?«, murmelte Miriam (Miriam? Judith!) verwirrt, und Carl warf sich keuchend und wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft japsend weiter nach hinten. Eines der dünnen Plastikbeine seines Stuhles begann sich sichtbar durchzubiegen und würde gleich brechen.
    »Also«, sagte Stefan in fast freundlichem Tonfall und ließ seine Schere auf- und zuschnappen, während sich seine freie Hand dem an die Stuhllehne gefesselten linken Arm von Carl näherte. »Das ist Ihre unwiderruflich allerletzte Chance, vielleicht doch noch die Wahrheit zu sagen.«
    »Aber ich weiß doch nichts!«, wimmerte Carl. »Bitte!
    Ihr müsst mir glauben! Ich würde es euch sagen, wenn ich wüsste, wo das Gold ist! Ich würde euch alles geben!«
    »Wer interessiert sich schon für dein Scheiß-Gold?«, fragte Stefan.
    »Ich«, sagte Ed vom Herd her. Niemand beachtete ihn.
    Stefan seufzte. Er wirkte enttäuscht, aber nicht sehr.
    »Also gut«, murmelte er kopfschüttelnd. »Sie haben es nicht anders gewollt.«
    Mein Herz schien einen Schlag zu überspringen und dann schneller und mit schon fast schmerzhafter Kraft weiterzuhämmern, als ich sah, dass Stefan Carls linke Hand ergriff und die Schere senkte. Zerberus begann zu kreischen. Das Stuhlbein zerbrach mit einem Geräusch wie ein Peitschenknall, aber Stefan hielt ihn mit so eiserner Kraft fest, dass er nicht kippte. Fasziniert und entsetzt zugleich sah ich zu, wie sich die Schere weiter senkte, und – tat nichts. Mein Verstand schrie mir zu, dass ich etwas unternehmen musste. Ich konnte nicht zusehen, wie Stefan diesem armen Kerl dasselbe antat, was die Meute in meinem Traum mir angetan hatte. Aber ich tat es. Reglos, entsetzt, zugleich auch von einer boshaften Vorfreude erfüllt, stand ich einfach da und tat nichts, während sich die Schere weiter senkte, sich Carls linker Hand näherte – und dann durch das Klebeband glitt, das seinen Arm an die Stuhllehne fesselte.
    Die Zeit lief wieder normal weiter. Mit einem kraftlosen Ächzen ließ sich Judith auf einen der freien Stühle sinken und Maria schlug in stummem Entsetzen die Hände vor den Mund. Carl wimmerte noch einmal und starrte aus Augen, die schwarz vor Angst waren, auf die schartige Klinge, die mit einem hässlichen Geräusch durch das braune Packband glitt und es ebenso mühelos zerteilte, wie sie vermutlich durch Haut und Fleisch und Knochen geschnitten hätte; dann sackte er nach vorne.
    Stefan hielt den zerbrochenen Stuhl mit der linken Hand ohne sichtbare Mühe in der Balance und zerschnitt rasch und mit einem Geschick, als täte er so etwas jeden Tag, Carls Fesseln. Schließlich legte er die Schere aus der Hand, hob den halb Bewusstlosen aus dem Stuhl und platzierte ihn unsanft auf einem anderen, der noch alle vier Beine hatte.
    »Also, ich schätze, er sagt die Wahrheit«, sagte er, während er sich wieder aufrichtete und sich zu uns umdrehte. Er grinste, aber sein Gesicht zeigte dabei einen nervösen Ausdruck, als sei er gerade aus einem tiefen Schlaf voller schrecklicher Alpträume erwacht (was der Wahrheit möglicherweise sogar recht nahe kam), sah sich einen Moment lang suchend um und versetzte der Rolle Klebeband, die noch immer neben dem zerbrochenen Stuhl lag, dann einen Fußtritt, so dass sie quer durch den Raum schlitterte.
    »Jetzt haben wir ein

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