Nemesis 02 - Geisterstunde
Problem«, murmelte er. Seine Stimme klang belegt. Ich hörte Betroffenheit darin, aber auch etwas wie mühsam unterdrücktes Entsetzen.
Ed trat mit einem humpelnden Schritt neben Ellen und blickte verwirrt und stirnrunzelnd von ihr zu Carl und Stefan und dann wieder zurück. »He, was ist denn los?«, fragte er. »Ist die Show etwa schon vorbei?«
Niemand antwortete, aber auf Judiths Gesicht erschien ein Ausdruck, den ich in diesem Moment lieber nicht deuten wollte, als ihr Blick an seiner rechten Hand hängen blieb. Der Depp hatte tatsächlich ein Messer heiß gemacht, dessen Klinge dunkelrot glühte und rauchte.
»Sagt nicht, dass es schon vorbei ist«, nörgelte er.
»Es reicht, Ed«, sagte Ellen. Sie klang sonderbar müde, und auch wenn sie sich von uns allen vielleicht am besten in der Gewalt hatte, war auf ihrem Gesicht doch eine Spur desselben Entsetzens zu erkennen, das ich auch in Stefans Augen gelesen hatte. »Leg das Messer weg, du Trottel.«
»Moment mal«, sagte Ed. »Ich dachte, wir wollten ...«
»Ich denke, wir haben erfahren, was wir wissen wollten«, fiel ihm Ellen ins Wort. Ihre Stimme wurde schärfer. »Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, ich würde zusehen, wie Stefan den Mann verstümmelt? Ich habe einen Eid geschworen, Menschen zu helfen, nicht, sie zu verletzen!«
»Dann ... dann war das alles nur ein Trick, um ihn zum Reden zu bringen?«, fragte Ed. Er klang verwirrt, aber auch enttäuscht.
Ellen antwortete gar nicht mehr, sondern lachte nur verwirrt und nervös und begann sich mit zitternden Händen eine Zigarette anzuzünden. Ihr Blick irrte unstet durch den Raum. »Sonst noch jemand?«
Ich war ziemlich sicher, dass sie in den letzten Minuten an alles Mögliche gedacht hatte, nur nicht an den Eid des Hippokrates – genau wie alle anderen auch, die nur Blut hatten sehen wollen; mich eingeschlossen. Aber ich war viel zu verstört – und erschrocken -, um den Moralapostel zu spielen oder mich gar zum Richter aufschwingen zu wollen. Meine Kopfschmerzen waren fast verschwunden, und so schluckte ich alles hinunter, was mir auf der Zunge lag, griff stattdessen nach der Zigarettenschachtel, die sie mir hinhielt, und bediente mich. Auch Judith griff mit einem dankbaren Nicken zu, und Ed streckte ebenfalls die Hand aus, doch Ellen klappte die Schachtel rasch zu und steckte sie wieder ein.
»Ich habe dich nicht zusammengeflickt, damit du dich jetzt selbst umbringst«, sagte sie lächelnd. »Rauchen ist ungesund, hat dir das noch niemand gesagt? Und in deinem Zustand erst recht.«
Ed setzte zu einem geharnischten Protest an, hatte aber anscheinend das Messer vergessen, das er noch immer in der rechten Hand hielt. Statt seiner gerechten Empörung Ausdruck zu verleihen, schrie er plötzlich auf, begann auf einem Bein herumzuhüpfen und steckte sich den Zeigefinger der anderen Hand in den Mund, den er sich offensichtlich an der noch immer rot glühenden Klinge verbrannt hatte. Ellen grinste.
»Ihr verdammten Idioten«, wimmerte Carl. Er hatte sich wieder halbwegs auf seinem Stuhl aufgerichtet, die Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in beiden Händen vergraben. Seine Schultern zuckten unkontrolliert. »Dafür mache ich euch fertig, das schwöre ich«, schluchzte er. »Das wird euch noch Leid tun.«
Ellen nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette, bevor sie ihr Feuerzeug ein zweites Mal aufschnappen ließ und es Judith und mir hinhielt. Während ich meine durchschnittliche Lebenserwartung mit einem gierigen Zug um die statistischen drei Minuten verkürzte, bedachte Ellen Carl mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Ich glaube, er hat wirklich die Wahrheit gesagt«, murmelte sie.
»Ich fürchte, der sagt auch jetzt noch die Wahrheit«, fügte Judith hinzu. Sie schüttelte besorgt den Kopf. »Ihr hättet das nicht tun sollen. Wenn er uns anzeigt, sehen wir ganz schön alt aus.«
Ed betrachtete die Tasche, in der Ellen ihre Zigarettenpackung hatte verschwinden lassen, mit einem schmachtenden Blick. »Was will er schon sagen?«, fragte er abfällig. »Solange wir alle zusammenhalten, steht sein Wort gegen unseres.«
»Und das ist alles, was dir dazu einfällt?«, fragte Judith.
Ed sah nicht so aus, als ob er wirklich verstanden hätte, was sie damit meinte. Er nuckelte nur weiter an seinem verbrannten Finger und gab ein abfälliges Schnauben von sich. Ich sah wieder zu Carl hin. Er hatte noch immer das Gesicht in den Händen vergraben, aber seine Schultern bebten, und seine
Weitere Kostenlose Bücher