Nemesis 02 - Geisterstunde
als Erster wieder abgelassen.
»Und stehen vermutlich bald vor seinem Mörder«, ergänzte Ed. Er zitterte. »Nette Aussichten.«
Ich sagte nichts. Er ist hier. Stefans Worte hallten in meinem Kopf wider. Meine Gedanken schlugen Kapriolen. Jeder von uns konnte Stefans Mörder sein. Jeder, der die Küche in der letzten halben Stunde verlassen hatte, hätte den Dolch aus dem Keller holen und ihn dem Sportler in den Rücken treiben können. Und jeder hatte sie verlassen. Rein objektiv betrachtet hätte sogar jeder von uns ein Motiv gehabt, nicht nur Stefan, sondern auch alle anderen umzubringen; schließlich ging es um eine Menge Geld – um ein ganzes Leben im Geld sogar. Und Carl? Er hatte nach dem, was Stefan ihm angetan hatte, ebenfalls gute Gründe, ihm nach dem Leben zu trachten.
Alle hatten diesen Raum verlassen, alle, außer Ed, der viel zu schwach war, um ...
Ich beäugte ihn misstrauisch. Konnte es nicht sein, dass er nicht halb so schwer verwundet war, wie wir alle annahmen, und dass er sich in unserer Abwesenheit in den Keller geschleppt hatte, um nach diesem sagenhaften Schatz zu suchen? War es nicht möglich, dass er dabei den Dolch an sich genommen und Stefan in den Rücken gejagt hatte, als er ihm zufällig begegnete, weil es nämlich doch einen Geheimgang gab, der durch den Keller führte und ...
Ich schob diese Gedanken fast gewaltsam beiseite. Es nutzte niemandem etwas, wenn wir alle einander misstrauten und jeder jeden verdächtigte. Und »hier« musste schließlich noch lange nicht dasselbe bedeuten wie »in diesem Raum«. Vielleicht waren Stefans Worte auch ganz anders gemeint gewesen, als ich sie verstanden hatte.
»Wir sollten uns nicht mehr trennen«, sagte Judith, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Maria nickte. »Wir müssen hier raus«, stellte sie fest.
»Wir suchen einen Weg. Aber gemeinsam.« Sie hob die Taschenlampe vom Boden auf und bedeutete Judith und mir, ihr zu folgen.
Judith öffnete nacheinander mehrere Küchenschubladen und fand schließlich, wonach sie gesucht hatte. Sie zog ein großes Küchenmesser hervor. »Folgen wir der Blutspur«, beschloss sie.
Ich erhob mich langsam, maß Stefan mit einem letzten mitfühlenden Blick und schloss seine leblosen Augenlider mit der flachen Hand. Dann nickte ich Judith zu.
»Gut«, sagte ich. »Wir haben überhaupt keine andere Wahl.«
ENDE
des zweiten Teils
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