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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bügelfaltenanzügen mit breiten Krawatten und großen Hemdkragen. Einer davon kam mir bekannt vor. Die träge, grauenhaft pochende Maschinerie hinter meiner Stirn weigerte sich, mir seinen Namen auf die Schnelle zuzuspielen, aber es war irgendein bekannter Politiker, der einem stolz lächelnden, wie alle anderen festlich gekleideten älteren Herrn mit silbrig-weißem Haar die Hand schüttelte.
    Plötzlich begannen sich die Bilder vor meinen Augen zu drehen. Das Hämmern in meinem Kopf erreichte die Stärke des Kugelhagels aus einer Kalaschnikow, und gleichzeitig wich das Kribbeln aus meinen Beinen und machte einem tauben Gefühl Platz: Ich spürte sie nicht mehr. Die Bilder lösten sich vor meinen Augen auf, explodierten zu einer Wolke aus Millionen und Abermillionen bunter Pünktchen, und das Dröhnen in meinen Ohren hörte schlagartig auf. Ich ließ die Bilder fallen und verlor das Bewusstsein.

Ich hätte die Ohnmacht begrüßt, hätte sie mich von meiner Qual erlöst. Aber so war es nicht. Dieses Mal folgten mir die Kopfschmerzen bis in den Traum hinein. Und anders, als es hätte sein sollen, war mir bewusst, dass ich sie nicht nur träumte und sie sofort verschwinden würden, sobald ich mich aus diesem Alptraum befreite und in die Wirklichkeit zurückkehrte, sondern ich war mir ganz im Gegenteil, sogar während ich träumte, darüber im Klaren, dass dieser Schmerz absolut echt war.
    Miriam schrie. Ich blickte über die Schulter zu ihr zurück, wie um mich davon zu überzeugen, dass sie noch da war, obwohl sie sich gar nicht von mir hatte entfernen können, nicht einmal, wenn sie gewollt hätte, denn ich zerrte sie mit festem Griff um ihr zierliches Handgelenk einfach mit, Stufe um Stufe, immer weiter in die Höhe.
    »Nein!« Ihre dunklen Augen trafen flehend meinen Blick. Es gab kein Licht in diesem Treppenhaus, es war stockfinster. Dennoch konnte ich die Angst in ihren Augen und den feuchten Glanz darin absolut sicher erkennen. »Wir ... wir dürfen nicht ...«, stammelte sie mit erstickter Stimme. »Bleib stehen! Tu mir das nicht an!
    Bleib doch stehen!!«
    Ich blieb nicht stehen. Ich konnte, ich durfte nicht anhalten. Wir mussten weiter, immer weiter in die Höhe, Stufe um Stufe die geschwungene steinerne Treppe hinauf, immer im Kreis, bis der Schwindel uns überwältigte, und trotzdem immer noch weiter. Sie waren hinter uns her. Ich wusste nicht, wer sie waren, aber ich wusste, dass sie uns nicht einholen durften, dass wir ihnen nicht in die Hände fallen durften, dass sie sie nicht bekommen durften. Miriam.
    Immer wieder zuckte ein stechender Schmerz durch meinen gequälten Kopf, so als schlügen rhythmisch Blitze durch die dünnen Knochenplatten, die mein Hirn schützen sollten. Ich konnte keine Rücksicht auf mich nehmen.
    Ich musste Miriam retten.
    Ich hörte ihre Schritte. Sie hallten von den Wänden des Turmes wider, den wir schwer atmend und längst in Schweiß gebadet hinaufstürmten, und verwandelten das Innere des Gebäudes zusammen mit den Stimmen in eine einzige akustische Folter. Kinderstimmen. Schreie, Flüche, hässliches Lachen – das alles aus dem Mund von Kindern. Grausame Ehrlichkeit klang aus ihren Stimmen.
    Sie wollten sie haben. Sie wollten sie töten. Sie klangen so schrecklich glaubwürdig – glaubwürdiger als jeder Erwachsene. Sie würden sie umbringen.
    Obwohl sich zu dem pochenden Schmerz in meinem Kopf mittlerweile ein böses Stechen, das durch meine Seiten fuhr, gesellt hatte, beschleunigte ich meine Schritte. Miriam stürzte. Ich nahm keine Rücksicht darauf, hielt nicht einmal inne, sondern zerrte sie im ununterbrochenen Lauf einfach wieder in die Höhe und weiter mit mir. Sie weinte. Sie schrie. Einen Moment lang übertönte ihr angstvoller Schrei sogar die laut widerhallenden Stimmen und Schritte.
    Ich zerrte sie weiter durch die Dunkelheit.
    Keuchend legte ich den Kopf in den Nacken und blickte gehetzt die scheinbar bis in ein anderes Universum reichende Treppe hinauf. Licht. Dort oben war Licht.
    Falsch, verbesserte ich mich in Gedanken. Es war keine Helligkeit; zumindest keine, die Farben zu Farben werden und Konturen erkennen ließ. Es war nur ein gräulicher Schimmer, der die Schatten, als welche ich die Stufen wahrnahm, noch schwärzer, steiler und unwirklicher und die Wände, die zu meinen Seiten emporragten, noch unendlicher erscheinen ließ. Im selben Moment, in dem ich den gräulichen Schein erspähte, durchfuhr ein noch heftigeres und diesmal auch nicht wieder

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