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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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wirkenden – obgleich mit Sicherheit äußerst stabilen – vergoldeten Griffen an den Schubladen versehen, von denen sich rechts und links jeweils vier zwischen Tischplatte und Boden übereinander reihten.
    Ich wusste, dass sich die Schubladen nicht öffnen ließen. Ich probierte sie dennoch einzeln durch, um mir absolute Gewissheit zu verschaffen. Nachdem ich einen Moment lang vergeblich an den staubigen Goldgriffen gerüttelt hatte, ließ ich mich vor dem antiken Möbelstück in die Hocke sinken und tastete, zielsicherer, als mir selbst lieb war, über eine der mit winzigen Blumenornamenten versehenen Schmuckleisten des Tisches. Meine Finger drückten nahezu automatisch auf eine bestimmte Stelle, die mit einem leisen Klicken nachgab. Ich hörte ein Geräusch wie das einer einrastenden Feder und wie sich zeitgleich etwas auf der Rückseite des Schreibtischs bewegte, umrundete ihn in schwankendem Gang und ließ mich schnell wieder auf die Knie nieder, ehe das Schwindelgefühl übermächtig werden konnte. Dennoch fiel es mir schwer, den Kopf oben zu behalten, während ich in das kleine, kaum handbreite Fach griff, das der Druckmechanismus auf der Rückseite des Tisches durch das Verschieben einer kleinen Holzleiste freigegeben hatte.
    Der hämmernde Schmerz hinter meiner Stirn, das an ein Dröhnen grenzende Rauschen in meinen Ohren, das Gefühl, jemand hätte mir die Schädeldecke aufgesäbelt, Wasser hineingefüllt, die Öffnung verschlossen und wäre nun damit beschäftigt, mir unaufhörlich Luft in den Kopf zu pumpen – all das machte mich wahnsinnig. Ich schmeckte bittere Galle und ätzende Magensäure. Meine Beine begannen zu kribbeln.
    Meine Hände ertasteten Papier. Ein stechender Blitz durchfuhr meinen Kopf, ließ mich gequält aufschreien und trieb mir so heftig die Tränen in die Augen, dass ich sie nicht mehr zurückhalten konnte. Sie rannen mir über die eiskalten Wangen und tropften auf den Boden zu meinen Füßen hinab. Ich steckte das Feuerzeug ein.
    Selbst das wenige Licht, das es zu erzeugen vermochte, quälte meine Augen, und sie fühlten sich an, als seien sie ein Stück weit aus den Höhlen hervorgequollen und von unzähligen geplatzten Äderchen durchzogen. Was zum Teufel war das nur? Was geschah mit mir? Ich hatte immer behauptet, es gebe nichts Schlimmeres als Zahnschmerzen oder einen ausgewachsenen Migräne-Anfall.
    Das, was in diesem Moment mit mir passierte, war allerdings viel schlimmer als beides zusammen. Ungefähr so stellte ich mir eine Schädelamputation bei vollem Bewusstsein vor.
    Ich wusste, dass ich mich nicht mehr lange in dieser hockenden Position halten konnte, zog mich mit mächtigem Kraftaufwand und dabei mit aller Macht gegen den aufsteigenden Brechreiz ankämpfend an der Tischplatte hoch, umrundete den Tisch ein zweites Mal, wobei ich mich mit beiden Händen daran abstützte, und ließ mich stöhnend in den staubigen Ledersessel auf der anderen Seite fallen. Für die Dauer von zwei, drei endlos langen Atemzügen schloss ich die Augen und lauschte meinem rasenden Herzschlag, der das Rauschen in meinen Ohren noch übertönte. Mein Atem ging schnell und schwer, und ich bemerkte, wie trotz verschlossener Lider bunte Punkte vor meinen Augen zu tanzen begannen. Es hatte keinen Sinn – ich würde das Bewusstsein verlieren, unabhängig davon, ob ich gerade stand, hockte oder weiterhin mit geschlossenen Augen hier saß.
    Ich hob die Lider ein winziges Stück an, so dass mein Blick gerade eben den kleinen Bereich erfasste, in dem sich meine Hände befanden, zog das Feuerzeug wieder hervor, entzündete es und betrachtete angestrengt, was meine Hände aus dem kleinen Geheimfach gezogen hatten, während die Tränen in einem Sturzbach über meine Wangen flossen, der sich wie Lava auf meiner kalten Haut anfühlte.
    Fotos. War es das, weshalb ich hier war? Ein paar alte, größtenteils in Schwarzweiß aufgenommene, vergilbte und an den Rändern von der Zeit zerfressene Fotos?
    Auf den meisten waren verschiedene Schulklassen in Schuluniformen abgebildet, die zusammen mit wechselnden Lehrern im Haupthaus des alten Klosters abgelichtet worden waren. Eines zeigte eine Pfadfindertruppe, die eine weiße Fahne mit einem merkwürdigen schwarzen Stern schwenkte, ein weiteres ein halbes Dutzend Erwachsene, die weiße Laborkittel trugen. Das letzte Polaroid, das ich betrachtete, war anscheinend auf einem festlichen Empfang oder dergleichen geknipst worden: Frauen in Ballkleidern, Männer in

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