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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
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Sie damit?«, fragte Carl. Seine Augen wurden schmal. Sein Blick flackerte immer nervöser, aber er hielt mir trotzdem stand, wenn auch nur mit Mühe. »Gar nichts«, behauptete ich lächelnd und in jenem bewusst beiläufigen Ton, der eben gerade nicht ganz beiläufig ist. »Ich will nur sagen, dass so ein Gatter nicht von selbst herunterfällt.« Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich Ellen nun ganz in meine Richtung drehte und mich stirnrunzelnd ansah, und auch auf Stefans Gesicht erschien plötzlich ein nachdenklicher Ausdruck.
    »Ich war zwar nicht dabei«, sagte Carl in kühlem Ton, »aber so, wie mein Wagen aussieht, müssen Sie wie ein Irrer gegen das Tor geknallt sein.« Er schnaubte abfällig und beinahe hätte ich ihm seine Empörung sogar geglaubt. »Diese ganze Bruchbude hier ist baufällig. Seien Sie froh, dass Ihnen nicht der ganze Turm auf den Kopf gefallen ist.«
    »Ja, vermutlich sollte ich das sein«, antwortete ich. Ich sprach nicht weiter. Nicht etwa, weil Carl mich überzeugt hatte – ganz im Gegenteil, ich begann allmählich immer mehr Gefallen an meiner eigenen Idee zu finden, als mir selbst lieb war. Natürlich war ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Aufprall des Jeeps das Gatter gelöst hatte, das mich um ein Haar und Ed tatsächlich aufgespießt hatte. Aber plötzlich war ich da nicht mehr so sicher. Carl hatte Recht: Dieser ganze Bau war Jahrhunderte alt, und vermutlich war es auch Jahrhunderte her, dass das Gatter zum letzten Mal benutzt worden war. Der Mechanismus musste so gründlich eingerostet sein, dass er ein mittleres Erdbeben überstanden hätte, ohne sich von der Stelle zu rühren. Es sei denn, jemand hatte sich daran zu schaffen gemacht und ihn so gründlich gewartet, dass sich das Gatter bei der leisesten Erschütterung löste.
    Der Fehler in diesem Gedanken fiel mir fast im gleichen Moment auf, in dem ich ihn dachte: Bis hierhin klang meine Theorie ja ganz hübsch, nur hätte der Attentäter auch ganz genau wissen müssen, wann wir die Burg verlassen wollten, auf welchem Weg – und vor allem, dass Ed den Wagen ins Tor rammen würde. Ich verscheuchte den Gedanken, aber der Schaden war bereits angerichtet. Allem Anschein nach war ich nicht der Einzige, der eins und eins zusammenzählen konnte, aber vielleicht der Einzige, der sich die Mühe machte, noch ein winziges Stückchen weiter zu denken.
    »So habe ich das noch gar nicht gesehen«, sagte Stefan.
    Er kam wieder näher und ballte fast beiläufig die Fäuste.
    »Aber es ist ein interessanter Gedanke.«
    Carl hatte sich gut genug in der Gewalt, um nicht vor ihm zurückzuweichen, aber man sah ihm an, wie gerne er es getan hätte. »Was für ein Blödsinn«, sagte er. »Sie glauben doch nicht etwa ...«
    »Ja – was?«, fragte Stefan lauernd. Und plötzlich war die Gewalt wieder da. Die Spannung war nie wirklich gewichen. Sie hatte sich nur zurückgezogen, sich versteckt wie eine Spinne, in deren Netz sich ein Opfer verfangen hatte, dem sie nicht gewachsen war, so dass sie in ihre Höhle zurückkroch und auf einen günstigen Moment wartete, um es hinterrücks anzuspringen.
    »Jetzt hört doch auf«, sagte Judith. »Was soll der Quatsch? Wenn wir so weitermachen, dann fallen wir in ein paar Minuten alle übereinander her.« Sie klang eher resigniert als zornig, und ich verspürte einen dünnen, aber schmerzhaften Stich in der Brust, als sie endlich doch aufsah und mich anblickte. Vielleicht, weil sie Recht hatte. Ich war schon immer ziemlich gut darin gewesen, mit wenigen unbedachten Worten möglichst großen Schaden anzurichten, aber das hier war nun wirklich nicht der richtige Moment, um mit schlechten Angewohnheiten weiterzumachen.
    Stefan atmete hörbar aus und entspannte sich, aber in dem Blick, mit dem er Carl maß, war noch immer so etwas wie eine latente Drohung. Vielleicht auch eher ein Versprechen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
    »Wissen Sie, wohin dieser Brunnenschacht führt?«, fuhr Judith an Carl gewandt fort, mit ganz leicht erhobener Stimme und vielleicht eine Spur zu schnell.
    »Nein. Er ist schon seit Ewigkeiten zugemauert.«
    »Wäre ja auch zu schön gewesen«, seufzte Ellen.
    Judith warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, blieb aber sachlich. »Wir brauchen ein Telefon. Unsere Handys funktionieren hier nicht, und ich nehme auch nicht an, dass es hier ein Telefon mit Festnetzanschluss gibt?«
    Carl schüttelte den Kopf. »Dieses Gebäude steht seit zehn Jahren leer«, erinnerte er.

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