Nemesis 02 - Geisterstunde
manikürten Fingernägel abbräche. Und bevor ich allein mit ihr hier blieb und mir ihre gehässigen Sticheleien anhörte, zog ich den Keller immer noch vor.
Judiths Blick irrte immer wieder unstet nach oben, als wir die große Halle durchquerten. Sie gab keinen Laut von sich, aber sie zitterte ganz leicht, und ob ich wollte oder nicht, ich musste ihren Mut bewundern. Ich war nicht sicher, ob ich an ihrer Stelle die Kraft aufgebracht hätte, noch einmal hier hinauszugehen. Davon abgesehen, dass allein der Anblick ihres zugepflasterten Gesichts bewies, dass die Attacke der Fledermaus alles andere als harmlos gewesen war, war ihre Angst vermutlich keine normale Angst, sondern wohl eher eine Phobie; ganz egal, was Ellen sagte. Mit Phobien ist nicht zu spaßen. Ich weiß, wovon ich rede.
Carl deutete wortlos auf den schwarzen Schlagschatten unter der Treppe, wandte sich aber auch praktisch in der gleichen Bewegung in die entgegengesetzte Richtung und steuerte den Ausgang an. Stefan und Maria tauschten einen überraschten Blick, folgten ihm aber kommentarlos, und selbst Judith schloss sich ihm tapfer an.
Noch immer fiel leichter Nieselregen vom Himmel und es war unangenehm kalt. Fröstelnd drängte sich Judith an mich und hakte sich bei mir unter. Die Berührung war mir beinahe unangenehm, obwohl ich nicht einmal sagen konnte, warum. Ich schämte mich des Gefühls und ergriff nun meinerseits ihren Arm fester. Als wir die Treppe hinuntergingen, vermied ich es krampfhaft, in Richtung des Brunnenschachtes zu sehen.
Carl eilte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter und ließ sich neben dem gähnenden Loch im Boden auf die Knie fallen. Ich wollte ihm folgen, aber Judith versteifte sich neben mir, so dass ich auf der obersten Stufe stehen blieb; im Grunde dankbar, einen Vorwand zu haben.
»Und das ... das verstehe ich nicht«, murmelte Carl.
»Was?«, fragte Stefan kühl. »Dass irgendjemand hier eine Todesfalle gebaut hat? Ich auch nicht.«
Carl blickte ihn unsicher an, aber da war auch noch etwas anderes in seinem Blick. Bei dem schwachen Licht hier draußen konnte ich nicht genau erkennen, was. Aber es gefiel mir nicht. »Auf diesem Schacht war ein Gitter«, behauptete er. »Das weiß ich ganz genau.«
»So?«, fragte Maria. »Woher?«
»Weil ich es höchstpersönlich angebracht habe«, blaffte Carl. Nach einer Sekunde und mit einem angedeuteten Schulterzucken schränkte er ein: »Jedenfalls habe ich dabei mitgeholfen.«
»Nachdem Sie vor fünf Minuten noch nicht einmal wussten, dass es diesen Brunnen gibt?«, fügte Stefan hinzu. Er trat neben Carl und beugte sich behutsam vor.
»Da ist kein Gitter.«
»Aber es war da!«, beharrte Carl. »Ich bin doch nicht blöd!« Stefan warf ihm einen schrägen Blick zu und Carls Stimme wurde nun eindeutig trotzig. »Ihr habt von einem Brunnen gesprochen. Das hier ist kein Brunnen.«
»Sondern?«, fragte Stefan.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«, fauchte Carl.
Er stand mit einem Ruck auf. Nachdem wir die Küche verlassen hatten, schien er rasch zu seiner gewohnten Selbstsicherheit – um nicht zu sagen: Unverschämtheit – zurückgefunden zu haben. »So oft war ich noch nicht da unten. Ich bin auch nicht besonders scharf darauf.«
»Als Hausmeister?«, fragte Stefan misstrauisch.
»Wer zum Teufel sagt das?«, schnappte Carl. »Ich sehe ab und zu nach dem Rechten, aber das ist auch schon alles. Da unten wimmelt es von Ratten und Spinnen!« Er sah kurz zu Maria hin, aber die erhoffte Reaktion blieb aus, so dass er mit einem irgendwie bedauernd wirkenden Achselzucken fortfuhr: »Das da unten ist der reinste Irrgarten.«
»Und woher wissen Sie das, wenn Sie sich da unten gar nicht auskennen?«, fragte Judith.
Carl starrte sie einen Moment lang fast hasserfüllt an und schwieg. Nach einer weiteren Sekunde drehte er sich mit einem demonstrativen Ruck herum und ging ins Haus zurück.
Judith und ich mussten hastig zur Seite treten, sonst hätte er uns wahrscheinlich über den Haufen gerannt.
Ich sah ihm verwirrt und ein bisschen wütend nach, verbiss mir aber die Bemerkung, die mir auf der Zunge lag; die Situation war auch so schon angespannt genug, ohne dass ich weiteres Öl in die Flammen goss.
Die frische Nachtluft hatte mir gut getan; als wir wieder in die Halle zurückkamen, waren meine Kopfschmerzen zu einem dumpfen Pochen herabgesunken, nicht mehr quälend, sondern nur noch lästig. Carl führte uns zu einer Tür unterhalb der großen
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