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Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
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zurückschob und aufstand, wobei er sich stöhnend die Knie rieb, die nach den Minuten in hockender Position anscheinend schmerzten. Vielleicht hatte er nicht nur in modischer Hinsicht den Wechsel der Jahrzehnte versäumt, dachte ich fast mitleidig bei mir, sondern auch seinen eigenen Alterungsprozess, mit dessen Folgen er nun umso härter konfrontiert wurde. Er kleidete sich zwar immer noch wie ein Teenie aus den Siebzigern, als lange Haare und Jeanshosen, die so eng waren, dass sich die Genitalien deutlich darunter abzeichneten, noch hip gewesen waren.
    Tatsächlich musste er allerdings das durchschnittliche Woodstockbesucheralter längst überschritten haben.
    Der kleine Krampf, der meine Glieder gepackt hatte, als Judith dazu angesetzt hatte, mich darum zu bitten, eine weitere Wand niederzureißen, löste sich wieder. Ich verkniff mir einen erleichterten Seufzer und das Bedürfnis, Carl zu umarmen und ihn dankbar an mich zu drücken. Zu Recht, wie ich schnell feststellen musste, denn der Wirt schüttelte den Kopf und leuchtete mit der Lampe auf eine Stelle an derselben Wand, keine fünf Meter von dem Geröllhaufen am Ende des Ganges entfernt.
    »Nicht hier«, sagte er und machte eine auffordernde Geste zu mir her. »Da hinten müssen wir durch. Ein paar Meter weiter rechts.«
    »Sicher.« Ich folgte mit dem Blick dem Strahl des Scheinwerfers und betrachtet dann die Decke über der mit Licht gekennzeichneten Stelle mit einer Grimasse, bei der ich im Nachhinein froh war, dass ich sie nicht vor einem Spiegel gezogen hatte. Während sich die Decke nur wenige Schritte weiter so bedrohlich in die Tiefe neigte, dass sie befürchten ließ, einzustürzen, wenn jemand hustete, bildete sie in unmittelbarer Nähe der planmäßigen Durchbruchsstelle noch eine Waagerechte, wurde aber bis zur Mitte des Ganges von unzähligen Haarrissen und kleinen Spalten durchzogen. »Nur falls mir die Decke auf den Kopf fällt und der Staub euch kurzfristig die Sicht raubt: Judith hat die Schaufel«, bemerkte ich und tippte mit der freien Hand auf meine Armbanduhr. »Und passt bitte ein bisschen auf, wenn ihr nach mir buddelt. Die Uhr war teuer.«
    »Wollen Sie nun hier raus oder nicht?«, antwortete Carl unbeeindruckt.
    »Wollen wir«, beantwortete Judith die ohnehin rein rhetorische Frage des Wirtes, klopfte ein paarmal an der Stelle gegen die Wand, wo Carl mich angewiesen hatte, sie einzureißen, und dann noch eine Elle weiter links. Sie zog ein anerkennendes Gesicht und sagte: »Respekt. Genau hier scheint ein weiterer Hohlraum zu beginnen.«
    Ich seufzte tief, trat zu ihr heran, holte aus, bremste jedoch den Schlag auf ein milderes Niveau ab, ehe der Stahl der Spitzhacke den Putz berührte. Dabei ließ ich die Decke schräg über mir mit einem misstrauischen Schielen keine Sekunde aus den Augen. Aber sie fiel mir nicht, wie ich befürchtet hatte, im nächsten Moment auf den Kopf und sie bekam auch keinen sichtbaren neuen Riss, so dass mein nächster Hieb mit etwas mehr Mut auf den porösen Putz traf. Dieser gab schnell und großflächig nach, doch damit hörte die Glückssträhne, die mich den ersten Durchgang in verhältnismäßiger Leichtigkeit hatte schaffen lassen, auch schon auf. Unter dem Putz befand sich eine zentimeterdicke Schicht aus steinhartem Gusszement, den zu durchbrechen mich nicht nur enorm viel Mut und Kraft kostete, sondern auch eine gewaltige Portion Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen: Das stetige Pochen in meinem Kopf, mit dem ich bereits seit geraumer Zeit wieder zu kämpfen hatte, steigerte sich schon nach wenigen Schlägen wieder in ein Übelkeit erregendes Hämmern. Mein Hinterkopf fühlte sich weich an – um nicht zu sagen: regelrecht matschig. Und den Schwindel, der langsam, aber beständig zunahm, drückte ich nur dadurch auf einen Pegel hinunter, der mich nicht aus den Latschen warf, indem ich mich mit aller Macht auf das roboterhafte Stakkato konzentrierte, in dem meine Arme in einer monotonen Bewegung mit der Spitzhacke auf den nur in Bröckchen und Krümeln weichenden Zement eindroschen. Irgendwann erbarmte sich Ellen in einer selbstlosen Geste (ich glaubte nicht, dass sie in ihrem ganzen Leben je ein Werkzeug in die Hand genommen hatte, das mehr Muskelkraft beanspruchte als ein Skalpell), mich mit dem Vorschlaghammer zu unterstützen. Damit schränkte sie mich zwar in meiner Bewegungsfreiheit ein und behinderte mich und außerdem hatte es zur Folge, dass mir das bloße Schielen auf die baufällige

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