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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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gewesen.«
    Hätte man es nicht vorher umgebracht und samt Gebärmutter aus dem Mutterleib geschnitten, fügte ich in Gedanken hinzu. Das Glas mit dem Ungeborenen begann sich vor meinen Augen zu drehen. Ich schloss die Lider für ein paar Sekunden und atmete so langsam und tief ein und aus, wie es mir in Anbetracht des herrschenden Gestanks und der staubigen, trockenen Luft, die in meiner Nase und meinem Hals kratzte, möglich war. Judith zog mich weiter, als Ellen wieder ein paar Schritte voranging, und verharrte schließlich hinter der Ärztin, um mit so fassungslosem Blick, dass er bereits wieder ausdruckslos wirkte, auf die in Formalin eingelegten Präparate zu starren, die Ellen nun beleuchtete. Auch Carl trat an unsere Seite und betrachtete die Ausstellungsstücke aus einem vor Entsetzen geweiteten Auge, da er sein anderes, stark verfärbtes und enorm angeschwollenes Lid erst einige Millimeter anheben konnte. Sein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren, sodass seine sonst eher rosige, speckige Haut nahezu transparent wirkte.
    In den wuchtigen Glaszylindern befanden sich präparierte Köpfe. Köpfe von Erwachsenen, größtenteils aber von Kindern, häufig solche, die Zwillingen gehört haben mussten oder zumindest Geschwisterkindern, die sich enorm ähnlich sahen. In den meisten Fällen ragte blondes Haar aus toter, weißer Kopfhaut. Die zumeist blauen Augen hatte man ihnen gelassen.
    Ich bemerkte, dass ich instinktiv zu atmen aufhörte, kämpfte aber nicht gegen den Atemstillstand an. Wenn ich erstickte, sollte es mir recht sein. Ich glaubte nicht, dass ich jemals wieder derselbe sein würde, als der ich hierher gekommen war, und war mir ziemlich sicher, dass ich der Mensch, der ich sein würde, wenn ich diese Burg jemals wieder verließ, spätestens nach diesem Ausflug in den Keller auf keinen Fall sein wollte, weil mein Leben mir nicht mehr viel Freude bereiten würde – allein schon deshalb, weil ich nie wieder ein Auge zutun würde. Ich wäre reif für die Klapse, ganz bestimmt, würde zumindest aber als Junkie unter einer Brücke landen, weil ich niemals verarbeiten könnte, was geschehen war und was ich hier hatte sehen müssen, vielleicht noch sehen musste.
    Jeweils die eine Gesichtshälfte der Köpfe hatte man in der Regel intakt gelassen, während man von der anderen Seite unterschiedliche Mengen von Haut, Gewebe und Muskeln abgetragen hatte. An manchen fehlte lediglich die Haut einer Gesichtshälfte, die Muskeln auf dieser Seite waren herauspräpariert, während man von anderen selbst den Schädelknochen entfernt hatte und der Blick auf diverse Gehirnabschnitte frei war.
    »Das ... ist unüblich«, bemerkte Ellen. Selbst ihr hatte es für eine Weile die Sprache verschlagen gehabt und sie erlangte sie anscheinend nur mühsam zurück. »Normalerweise bereitet man Gesichter auf, das heißt, man entfernt die Haut, damit es nicht möglich ist, die Verstorbenen wieder zu erkennen ... Aber gut«, sie zuckte die Schultern, schüttelte kurz den Kopf, hatte sich plötzlich wieder vollständig im Griff, und für ihre nächsten Worte hätte ich sie einmal mehr am liebsten erschlagen, wenn nicht gleich zerteilt und zwischen die schrecklichen Präparate in den Regalen eingegliedert, »sie können sich ja sehen lassen.
    Die meisten sind durchaus hübsche Kinder. Und so pflegeleicht – da könnte man fast auf dumme Gedanken kommen ...«
    Wahrscheinlich hatte sie darauf abgezielt, einen makaberen Witz zu machen und die angespannte Stimmung einen kleinen Deut aufzulockern, aber ihr Spruch kam alles andere als gut an. Judith zuckte in meinem Arm zusammen, als hätte die Ärztin ihr einen Schlag ins Gesicht versetzt, und keine halbe Sekunde darauf rief sich Carl ins Bewusstsein zurück, dass er nach wie vor bewaffnet war und hier die alleinigen Zügel in der Hand hielt. Er richtete den Revolver auf Ellen und trieb sie mit zornesfunkelndem Blick vorwärts, allerdings nur, um nach wenigen Schritten wieder stehen zu bleiben und sie anzuweisen, einen weiteren, etwas höher gelegenen Regalabschnitt auszuleuchten.
    Ich hatte geglaubt, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, aber ich hatte mich geirrt. Der Konfrontation mit den abgetrennten Kinderköpfen folgte nun eine mit einem guten halben Dutzend, zum Teil durch Schussverletzungen entstellter Gesichter Jugendlicher und junger Erwachsener.
    »Das sind keine Kriegsverletzten«, behauptete Ellen stirnrunzelnd.
    »Wie kommen Sie darauf, Frau Doktor Allwissend?«, spottete

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