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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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wirkten äußerst aufmerksam und neugierig und strahlten nicht nur bloßen Wissensdurst aus, sondern eine regelrechte Gier nach neuen Informationen, die sie hinter ihren von nahezu gefährlicher Intelligenz zeugenden Augen horten konnten. Es war, als betrachtete ich zwei übereinander gelegte Negative, zwischen deren Aufnahmen mehr als ein Vierteljahrhundert liegen musste.
    Sie schienen mich nicht zu sehen, obwohl sie genau auf mich zusteuerten und kaum mehr als fünfzehn Meter von mir entfernt waren, oder sie schenkten mir keinerlei Beachtung, aber dieser Umstand vermochte den Schrecken, der von mir Besitz ergriffen hatte, nicht zu lindern.
    Endlich erkannte ich die Männer: Es waren Professor Klaus Sänger und Sturmbannführer Richard Krause – Eds Onkel, den Maria uns in einem ihrer dicken Fachwälzer vorgestellt hatte. Ich zwang mich, mir einen Ruck zu geben, wirbelte auf dem Absatz herum und wollte den Knaben, den ich verfolgt hatte, einen Knaben sein lassen und davonsprinten. Ich fühlte mich ertappt und fürchtete mich. Ich durfte nicht hier unten sein, niemand hatte mich gebeten, den unterirdischen Laborkomplex zu betreten, und die Strafe würde eine grauenhafte sein. Sänger und Krause hatten mich erwischt!
    Aber als ich mich herumgedreht hatte, erstreckte sich der Gang in der Richtung, aus der ich gekommen war, ebenfalls in einer Länge von etwa zwanzig Schritten, ehe er an eine Einmündung grenzte, obwohl ich hätte schwören können, dass ich eine wesentlich längere Strecke durch den Flur zurückgelegt hatte. Und auch aus der entgegengesetzten Richtung näherten sich mir Sänger und Krause erregt argumentierend und zügigen Schrittes. Entsetzt taumelte ich zurück, drehte mich halb um die eigene Achse, stolperte und stieß mit dem Hinterkopf gegen die harte, weiß verputzte Wand des Korridors. Im nächsten Moment fiel ich vornüber und konnte mich erst in buchstäblich letzter Sekunde mit den Händen abfangen, um nicht auch noch im Traum hart aufzuschlagen und das Bewusstsein zu verlieren. Bäuchlings auf dem Boden liegend hob ich schwer atmend und am ganzen Leib zitternd den Kopf, um mich in einer hektischen, verzweifelten Geste nahezu gleichzeitig nach links und nach rechts zu wenden und das doppelt vorhandene Wissenschaftlerduo mit angstvollen, um Gnade flehenden Blicken anzusehen.
    Aber die Männer waren nicht mehr da.
    Stattdessen blickte ich zu beiden Seiten an ebenfalls blütenweiß getünchten Wänden hinauf. Vor mir erstreckte sich ein weiterer Korridor, der nur wenige Schritte weit reichte und von dem keine Türen und weiteren Gänge abzweigten. Hinter mir befanden sich die ersten stählernen Regale aus der Forschungssammlung.
    Irritiert und schockiert drehte ich mich hilflos im Kreis, und während ich mich drehte, verwandelten sich auch die Wände, die plötzlich zu meiner Rechten und Linken erschienen waren, in einen Teil der makaberen Ausstellung; und wo sich gerade noch die Sackgasse befunden hatte, sah ich mich nun der stählernen Tür gegenüber, die in den Büroraum davor führte. Sie war verschlossen.
    Ein Teil von mir drängte darauf, nach der Klinke zu greifen und den runden Saal schnellstmöglich wieder zu verlassen. Ich wollte zusehen, dass ich diesen gottlosen Keller schleunigst wieder verließ, doch ein anderer, ungleich stärkerer Impuls trieb mich in entgegengesetzter Richtung geradewegs in das hell ausgeleuchtete Horrorkabinett hinein. Wo war der Junge?
    So schnell mich meine Beine tragen konnten, schleppte ich mich hastig zu den Keramikwannen am oberen Ende des Saales hin. Trotzdem kam mir die kurze Strecke unendlich weit vor. Es war wie in einem dieser schrecklichen Träume, die wohl ein jeder schon einmal gehabt hat, in denen man vor irgendjemandem oder irgendetwas flieht, so schnell man konnte, ohne dass man sich dabei auch nur einen Millimeter von der Stelle bewegt. Aber in diesem Traum bewegte ich mich sehr wohl von der Stelle. Die in Formalin eingelegten Augenpaare in den Glasbehältern zu meiner Rechten folgten mir mit Blicken, wozu sie sich in meine Richtung bewegten, und die toten Embryonen und Föten streckten ihre unfertig ausgebildeten, feingliedrigen Armchen und Beinchen nach mir aus, als wollten sie nach mir greifen und sich an mir festhalten, damit ich sie mit mir nahm, wohin auch immer ich eilte, Hauptsache hinaus aus ihren menschenunwürdigen, gläsernen Särgen und aus diesem Sortiment des Grauens. Die unschuldigen Augen in ihren überproportionalen

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