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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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gerufen hast. Wir sind wieder eins. Ich kann nichts tun, was du nicht möchtest. Lass uns nun Sänger suchen und die Sache beenden.
    »Aber die ganzen Pfleger?«, wandte ich ein. »Wir können doch unmöglich –«
    Doch, unterbrach mich die Stimme. Wir können. Wir sind das, was Sänger erschaffen wollte. Eine Waffe, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Eine neue Art Mensch.
    »Mit wem sprichst du da?«, fragte Ellen verstört. »Und was ist mit Judith los?«
    »Sie hält mich für Professor Sänger«, antwortete ich.
    Ellen bedachte mich mit einem zynischen Lächeln.
    »Schlechter Scherz«, stellte sie fest.
    Offenbar wusste die junge Ärztin nur in Ansätzen, was die Hintergründe für die Ereignisse dieser Nacht waren – wahrscheinlich war auch sie in Behandlung dieses Doktor Gobier gewesen, der Erinnerungen stahl. Was hatte dieser Arzt uns als Kindern bloß angetan, dass wir die Ereignisse auf der Burg so vollständig verdrängt hatten?
    Aber vielleicht wäre es wirklich das Beste gewesen, wenn unsere Erinnerungen hinter einer hohen Mauer versteckt geblieben wären, hätte Sänger uns nicht hierher zurückbestellt. Vielleicht war Gobier nicht wirklich ein schlechter Mensch gewesen.
    »Judith wird uns nicht mehr gefährlich werden«, sagte ich mit aller Entschiedenheit, doch das genügte offensichtlich nicht, um die junge Ärztin zu überzeugen.
    »Du wirst nicht von mir erwarten, dass ich ihr vertraue, oder? Sie ist ...«
    Judiths Kopf explodierte in einer Masse aus Blut, Hirn und Knochensplittern. Etwas Feuchtes klatschte in mein Gesicht. Im Reflex ließ ich mich auf den Boden fallen und riss Ellen mit mir.
    Der Donner des Schusses, der Judith getroffen hatte, hallte im Zimmer wider. Einen Moment lang stand ihr Körper noch aufrecht. Ihre Hände griffen ins Leere, als wollte sie sich irgendwo festhalten, und eine Fontäne aus Blut schoss aus ihrem Hals und tränkte das Kissen auf dem über einen Meter von ihr entfernt stehenden Bett dunkelrot. Dann kippte sie ganz langsam, wie in Zeitlupe, vornüber auf die Rollbahre.
    Von der Zimmertür her erklang ein metallisches Ratschen, das unangenehm an meinen Trommelfellen schabte.
    Es war ein Geräusch, das ich aus einschlägigen Horrorfilmen kannte: das Nachladen einer Schrotflinte. Am Eingang flüsterte jemand etwas.
    Eine Welle von Zorn übermannte mich. Judiths Verrat war vergessen. Was blieb, war die Erinnerung an ihre Liebe, an all die einmaligen zärtlichen Augenblicke, die wir miteinander geteilt hatten, an ihren Geruch und ihr wunderbares weiches Haar. Möglicherweise hatte sie unter Sängers Einfluss gestanden, und letzten Endes hatte sie sich in der Vertrauensfrage für den Professor und gegen mich entschieden. Seine verlockenden Worte hatten ihre Seele vergiftet, so wie es mit einem jeden geschah, der dem alten Wissenschaftler begegnete. Ihr Charakter war nicht stark genug gewesen, aber sie hatte mich geliebt.
    Warum hatte man auf sie geschossen? Hatte sie unsere Liebe nicht verraten und damit unter Beweis gestellt, dass sie nach wie vor zu Sängers Leuten gehörte? Hatte es nicht genügt, dass sie mich für ihn und seine Sache getötet hätte?
    Sie hatten befürchtet, dass sie unter meinem Einfluss stand, allein weil sie in meiner unmittelbaren Nähe gestanden hatte. Sie hatten davon ausgehen müssen, dass ich ihren Willen gebrochen hatte und in der Lage gewesen wäre, sie als Waffe einzusetzen. Trotzdem hasste ich diese Männer für das, was sie getan hatten. Sie hatten mir Judith genommen! Judith, mein geliebtes kleines Pummelchen, die erste Frau, die mir begegnet war, die mein Leben von Grund auf hätte ändern und in gänzlich neue Bahnen lenken können. Der Schmerz war kaum zu ertragen.
    Ich schob Ellen weiter unter die Bahre, so dass man sie von der Tür aus nicht mehr treffen konnte. Sollten Sängers Killer nur hereinkommen! Ich konnte deutlich spüren, wer hinter der weißen Tür stand. Alle meine Sinne schienen unglaublich geschärft zu sein, seit ich wieder eins geworden war mit meiner Kinderseele. Ich verstand deutlich, was vor der Tür getuschelt wurde. Zwei Männer standen dort, die sich noch nicht einig waren, wer als Erster ins Krankenzimmer stürmen sollte. Ich konnte sie sogar deutlich riechen. Angstschweiß mit streng riechender Seife und einer Spur Zwiebeln aus dem Essen vom Vortag ...
    Was war nur geschehen in meinem Kopf? Mutierte mein Gehirn? Waren all meine Spinnereien über einen Alien in mir vielleicht gar nicht so abwegig gewesen,

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