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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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und trat langsam auf meine Liege zu, wobei sie Ellen keine Sekunde aus den Augen verlor. »Diese falsche Schlange müssen wir unschädlich machen«, entschied sie mit einem Nicken in die Richtung der Rothaarigen. »Sie wird alles tun, um unsere Flucht zu verhindern.«
    »Bitte, Frank, glaub ihr nicht.« Blanke, ehrliche Angst stand in den Blick der jungen Ärztin geschrieben.
    Langsam wich sie vor Judith zurück. Ich sah, wie ihre Knie zitterten. »Sänger hat sie geschickt«, sagte sie in regelrecht flehendem Tonfall. »Sie ist seine Vertraute!«
    Judith lachte böse. »Glaubst du, Frank lässt sich so leicht täuschen?«, fragte sie verächtlich. »Die ganze Nacht hast du wie eine Spinne in deinem Netz gehockt und zugesehen, wie wir uns mehr und mehr in deinen Fäden verfangen. Was glaubst du, warum sie noch am Leben ist?«, fragte sie an mich gewandt, trat dicht an meine Liege heran und streckte mir die Hand entgegen. »Komm, uns läuft die Zeit davon.«
    Ein stechender Schmerz fuhr mir durch den Kopf. Er war wieder da, der Knabe, den ich wieder gefunden hatte, der Killer, der jeden Moment die Kontrolle über mich an sich reißen konnte.
    »Hatte Judith eine Narbe auf dem Bauch?«, fragte Ellen verzweifelt. »Bitte denk nach, Frank. Hatte sie eine Narbe? Als sie ihren Pakt mit Sänger geschlossen hat, hat man sie bestimmt operiert!«
    Meine Augen begannen vor Schmerz zu tränen. Eine Narbe? Ja, da war etwas gewesen. Ich erinnerte mich daran, dass ich sie danach hatte fragen wollen. Aber das konnte auch eine Blinddarmnarbe oder sonst was gewesen sein...
    Mit einer hastigen Bewegung griff Judith nach der Spritze auf dem Nachttisch. Einen Augenblick lang hielt sie sie wie einen Dolch umklammert, dann schnellte sie vor wie eine Viper und versuchte sie mir in den Arm zu rammen. Mein Herz machte einen erschrockenen Satz.
    Eher im Reflex als bewusst packte ich ihr Handgelenk und bremste ihren Angriff auf diese Weise, aber Judith war stärker, als ich erwartet hatte. Verdammt, was war bloß in sie gefahren? Ellen hat die Wahrheit gesagt, begriff ich.
    Judith hatte sich in die Defensive gedrängt gefühlt. Vor lauter Angst, dass ich der Ärztin Glauben schenken könnte, hatte sie sich selbst verraten. Einen Moment lang konnte ich ihren Arm halten, dann aber näherte sich die Hand mit der Spritze langsam meiner Brust. Durch die Verletzung in der Schulter und den Narkose-Cocktail geschwächt, konnte ich kaum Widerstand leisten; ich war schwächer als ein Mädchen, verdammt noch mal!
    Ich hatte keine Wahl. Ich brauchte seine Hilfe.
    »Komm«, murmelte ich, und der Schmerz in meiner Schulter verebbte augenblicklich. Ich fühlte mich seltsam entrückt. Und dann spürte ich, was Judith dachte. Dumpfe Wut beherrschte ihre Gedanken. Sie war Klaus Sänger vollkommen ergeben, nur ihm würde sie gehorchen.
    Gleichzeitig überflutete mich eine Welle neuer Reize in bislang ungekannter, fast schmerzhafter Intensität. Ich hatte den Eindruck, schärfer zu sehen, und auf einmal nahm ich alle Gerüche um mich herum um ein Vielfaches intensiver wahr. Etwas Ähnliches hatte ich vor Jahren schon einmal erlebt, als ich Hasch geraucht hatte. Erst hatte ich geglaubt, die Droge würde bei mir überhaupt nicht wirken. Kein abgefahrener Film spulte sich vor meinen Augen ab. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich gemerkt hatte, dass sich mein Geruchssinn verändert hatte.
    Ich hatte ein Käsebrot riechen können, das mehr als fünf Meter entfernt im Nachbarraum hinter einer verschlossenen Tür lag (und ich hatte schrecklichen Heißhunger darauf verspürt ...).
    All diese Gedanken und noch einige mehr Schossen mir in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf, während ich mit Judith rang. Ich musste sie aufhalten!
    Als seien meine Gedanken ein Befehl gewesen, verharrte sie plötzlich und gab ihre Anstrengungen, mich niederzuringen, von einem Augenblick auf den andern auf. Abrupt richtete sie sich auf, legte die Spritze auf den Nachttisch zurück und lächelte.
    Sie hält dich jetzt für Sänger, wisperte die zunehmend vertraute Stimme in meinen Gedanken.
    »Wie hast du das gemacht?«, fragte ich leise, aber nicht flüsternd.
    Ich kann es nicht richtig erklären, antwortete die Stimme des Kindes in mir. Ich weiß, wie man es tut. Vielleicht ist es so etwas wie Hypnose. Vertrau mir. Ich passe auf uns auf.
    »Warum hast du sie nicht ermordet?«, fragte ich.
    Weil du es nicht möchtest, erklärte die Stimme ernst. Du hast das Tor durchschritten, als du mich

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