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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Nachttisch.
    Ellen hat geholfen, Miriam zu töten, meldete sich eine Stimme aus meinem Unterbewusstsein, aber es war eine, die mir bislang fremd gewesen war, eine, deren Klang ich bisher noch nicht vernommen hatte, obgleich sie mir unendlich vertraut schien. Die Stimme meiner verloren geglaubten Erinnerungen, die Stimme des Kindes in mir, das ich auf Burg Crailsfelden zurückgelassen hatte! Überlass sie mir, versprach die Stimme, und ich bringe dich hier heraus.

»Komm schon!« Ellen griff nach meiner Hand.
    Das Bild auf dem Fernsehmonitor erlosch flackernd. Das musste der Augenblick sein, in dem ich hätte sterben sollen. Ein eisiger Schauer rann meinen Rücken hinab, als ich den Injektor leise summen hörte. Dort, wo vor wenigen Minuten noch die Spritze gesessen hatte, schob sich ein Kolben vor.
    Ellen war gekommen, um mich zu retten – einen überzeugenderen Vertrauensbeweis hätte sie mir nicht liefern können. Ich schuldete ihr mein Leben. Ich musste sie beschützen vor diesem von Rache besessenen Teenager, der in mir lauerte, aber dazu durfte ich nicht mit ihr zusammenbleiben. Jeden Augenblick konnte dieser fremde Teil meines Ichs wieder die Kontrolle über mein Tun übernehmen. Es durfte keine weiteren Morde mehr geben!
    Ich wollte niemandem etwas zuleide tun – das hatte ich nie gewollt!
    »Lauf fort von mir«, sagte ich leise. »Ich bin der Mörder.«
    Ellen maß mich mit einem verständnislosen Blick aus ihren stechend blauen Augen. Ihr Haar war offen und vollkommen zerzaust, und sie trug ein schlichtes weißes Nachthemd und ging barfuß, ganz so, als hätte sie sich gerade aus einem Krankenbett erhoben. Die junge Chirurgin stemmte beide Hände in die Hüften. Der Schmerz ließ sie in gekrümmter Haltung dastehen.
    »Wir müssen Sänger aufhalten«, presste sie mit deutlicher Mühe hervor. »Es kann jeden Augenblick zu spät sein.«
    »Sie lügt«, erklang eine mir wohl bekannte Stimme vom Eingang her, und allein ihr Klang ließ eine kurze, aber heftige Welle der Wärme und des Wohlseins über mein Herz schwappen. Judith stand im Türrahmen. Auch sie trug nichts als ein Nachthemd, und auch ihr Haar war zerzaust. Ihr Atem ging schnell. Sie wirkte gehetzt. »Sie ist Teil des Experiments«, behauptete Judith.
    Mein Blick wanderte wieder zu der Spritze. Ellen hatte mir das Leben gerettet.
    »Sie ist eine fanatische Anhängerin von Sänger und seinen Ideen«, fuhr Judith fort. »Hat man dir die Bilder nicht gezeigt, wie sie sich freiwillig ihren Bauch aufgeschnitten hat? Wie verrückt muss man sein, um so etwas zu tun?«
    »Sie lügt!«, keuchte Ellen mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Sie haben mich dazu gezwungen! Sie wollten meine Eierstöcke, was mit mir wurde, war ihnen egal. Ich bin nur mehr ein Stück Fleisch für Sänger. Meine Zeit ist um. Ich habe einen Hirntumor, genau wie alle anderen.
    Nur mein Erbgut interessiert ihn noch, genau wie bei dir.
    Als sie dich operiert haben, haben sie auch einen deiner Hoden entfernt, Frank.«
    Das ist vollkommen absurd, dachte ich und kämpfte gegen den Drang an, instinktiv nach meinen Genitalien zu greifen. Was Ellen da erzählte, konnte überhaupt nicht stimmen; schließlich hatte ich zumindest unterhalb der Gürtellinie keinerlei Schmerzen verspürt, und auch nun, da ich mich darauf konzentrierte, war da nichts Auffälliges.
    Allerdings spürte ich auch die Schusswunde an meiner Schulter kaum. Der Drogencocktail, den man mir verabreicht hatte, wirkte so gut, dass ich mich fast daran hätte gewöhnen können, wäre seine schmerzeindämmende Wirkung nicht mit solcher Müdigkeit und Trägheit verbunden gewesen.
    Unentschlossen wanderte mein Blick zwischen den beiden Frauen hin und her. Judith hatte immer auf meiner Seite gestanden. Sie hatte mich geliebt ... Ihre Küsse, ihre Berührungen, unser euphorisches Liebesspiel im Duschraum, bei dem unsere Hormone stärker gewirkt hatten als Ectasy – das konnte niemals alles Lüge gewesen sein.
    Ich hatte meine Entscheidung getroffen und wandte mich Judith zu. »Was sollen wir tun?«
    »Unter dem Komplex gibt es eine Tiefgarage«, antwortete Judith gehetzt. »Ich habe die Pfleger davon reden hören. Vermutlich hat man sie gebaut, damit man von außen nicht beurteilen kann, wie viele Leute sich in der falschen Software-Firma aufhalten, als welche man den oberirdischen Teil der modernen Ausbauten getarnt hat.
    Wenn wir uns bis dahin durchschlagen könnten, dann wären wir gerettet.« Judith hatte den Raum gänzlich betreten

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