Nemti
noch als kleinen Jungen.« Er drückte sanft ihre Hand.
»Arbeitest du hier?«
»Ich bin noch Kommissaranwärter, aber nach dem Studium würde ich gern hier tätig werden.«
Die Frau kniff die Augen zusammen, als würde sie so besser sehen können. »Was ist das über der Augenbraue? Hast du dich etwa geprügelt?«
»Nur eine kleine Verletzung, nicht der Rede wert. Was führt Sie zu uns?«
»Ich möchte mit dem Verantwortlichen reden, eine Aussage machen.«
»Verstehe. Wegen Jan oder Ihrem Exmann?«
Die Frau trat überrascht einen Schritt zurück. Ihre Augen weiteten sich. »Wieso wegen Jan? Was ist mit ihm?«
»Kommen Sie bitte, gehen wir nach oben.«
»Nein. Ich will erst wissen, was mit Jan ist.«
»Tut mir leid. Ich möchte dem Hauptkommissar nicht vorgreifen. Kommen Sie bitte mit.«
Lukas führte sie in Habermehls Büro und stellte sie den Kommissaren als Frau Gleißner vor.
Sie legte Lukas die Rechte auf den Arm und schüttelte den Kopf. »Nicht Gleißner. Ich habe nach der Scheidung wieder meinen Mädchennamen angenommen. Mein Name ist Rüting. Maria Rüting.«
Habermehl bot ihr einen Platz vor seinem Schreibtisch an. »Was können wir für Sie tun, Frau Rüting?«
»Sagen Sie mir bitte, was mit Jan ist. Was ist mit meinem Enkel?«, fragte sie ängstlich. »Hat Erwin ihm was angetan? Haben Sie ihn deshalb gestern abgeholt?« Mit bleichem Gesicht setzte sie sich auf den Stuhl.
»Beruhigen Sie sich. Er hat ihm nichts getan.«
»Gott sei Dank.« Erleichtert lehnte sie sich zurück.
»Woher wissen Sie davon? Herr Dux hat erzählt, dass Sie in Trier wohnen.«
»Das stimmt, aber ich stehe mit meiner langjährigen Freundin und ehemaligen Nachbarin telefonisch eng in Kontakt. Sie hat mich auch schon in Trier besucht. Aber jetzt sagen Sie mir endlich, was mit meinem Enkel ist.«
Habermehl fuhr sich über die Stirn und prustete. Es fiel ihm sichtlich schwer, Frau Rüting die grausame Wahrheit zu offenbaren. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber er wird des dreifachen Mordes und der schweren Körperverletzung beschuldigt.«
Mit weit aufgerissenen Augen stierte sie Habermehl an. Der letzte Rest Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Wie bitte?« Ungläubig blickte sie zu Lukas hinüber. »Was Sie auch sagen, es stimmt nicht. Nein. Mein Enkel ist ein Opfer dieses Tyrannen. Es ist allein Erwins Schuld, wenn Jan vom rechten Weg abgekommen ist.« Sie legte die Hände gefaltet in den Schoß. Lukas sah sie vor Aufregung zittern. »Weswegen haben Sie Erwin verhaftet? Sagen Sie es mir bitte.«
Lukas spürte förmlich den Kampf, den Habermehl ausfocht. Wie viele Hiobsbotschaften vertrug die alte Frau noch?
»Er hat mutmaßlich Ihre Schwiegertochter getötet.«
Ihre wie zum Gebet gefalteten Hände verkrampften sich. Sie verharrte sprachlos und mit starrem Blick.
Lukas kam hinter dem Schreibtisch hervor und stellte sich neben Frau Rüting. Vorsichtig legte er eine Hand auf ihre schmale Schulter. Sie zitterte am ganzen Körper. Plötzlich entlud sich ihre Verbitterung in einem Aufschrei. »Dieser elende Dreckskerl!«
Lukas reichte ihr ein Taschentuch, doch sie lehnte ab. Sie öffnete die Handtasche und kramte darin herum, als suchte sie etwas. Dann drückte sie den Verschluss wieder zu.
Eine schmerzhafte Stille legte sich über den Raum, nur unterbrochen vom leisen Ticken der Wanduhr.
»Erwin ist ein Teufel in Menschengestalt. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Kurz, nachdem unser Sohn tödlich verunglückt ist, habe ich ihn verlassen. Gern hätte ich meine Schwiegertochter und den Kleinen mitgenommen.« Sie kramte erneut in ihrer Tasche, holte ein besticktes Taschentuch hervor und tupfte Tränen von der Wange. »Er hat uns Strafe angedroht, wenn wir es wagen würden, ihm seinen Enkel wegzunehmen. Meine Schwiegertochter ist geblieben, um in Jans Nähe zu sein. Mir hat er jeglichen Kontakt zu ihr und dem Jungen verboten.«
»Dass ein Mensch zu so etwas der eigenen Familie gegenüber fähig ist, grausam.«
»Wollen Sie noch mehr von diesem Widerling hören?«
»Sie haben uns neugierig gemacht. Berichten Sie weiter.«
»Erwin liebt es, anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen und den Leitwolf zu spielen. Er ist ein gefährlicher Mann, aber auch ein verbohrter Narr, dass müssen Sie mir glauben.«
»Wieso ein verbohrter Narr?«
»Weil er verworrenen Vorstellungen anhängt, die niemand nachvollziehen kann.«
»Was meinen Sie konkret damit, Frau Rüting?«
»Besoffen hat er einmal rumgesponnen. Die
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