Nemti
Ritual vorbereitet. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass sich eine Gänsehaut über seinen Körper ausbreitete. Schließlich war es das erste Mal, dass zur Verherrlichung Seths Menschenblut geopfert wurde. Es war seine Aufgabe gewesen, es zu besorgen.
»Hol Teufelsdreck.«
Neferkarê eilte zu einer Truhe, in der Salben und Räucherwerk aufbewahrt wurden. Nach kurzem Suchen fand er den Teufelsdreck, getrocknetes Gummiharz aus dem Wurzelstock des Asants.
Der Höhepunkt der Zeremonie stand unmittelbar bevor. Der Meister entnahm einem bemalten Schrein ein Kultgefäß in Form eines angewinkelten Arms. In der Hand ruhte eine vergoldete Schale. Er goss den überwiegenden Inhalt des Gefäßes, das Blut eines Menschen, in die Opferschale. Den Rest schüttete er in einen silbernen Pokal. Ehrfurchtsvoll hob er die Arme, die offenen Handflächen der Götterfigur zugewandt, und schloss die Augen.
»Sprich zu mir, Sohn der Himmelsgöttin, jeder Geist, jeder Schatten. Hebe dich zu mir, Seele des Lebens, des Atmens. Lass mein Gefäß erglänzen um deiner Größe willen.«
Neferkarê vollendete die Beschwörung: »Entferne dich, Finsternis. Komm zu mir Licht und öffne deine Augen.«
Bei diesen Worten nahm der Meister die Opferschale in die Hand. Ein monotoner Gesang erklang, der schaurig von den Wänden zurückgeworfen wurde. Neferkarê verstand die Worte nicht, wohl aber die darauf folgende Huldigung.
»Du bist Seth, Herr der Kraft, der Überwältiger, an der Spitze der Barke des Re. Man zollt dir Lobpreis über das Niederwerfen des Apophis hinaus.«
Der Meister verneigte sich, griff nach dem Pokal und setzte ihn an den Mund. Er trank. Ein feines Blutrinnsal floss ihm über das Kinn. Er reichte den Trunk an Neferkarê weiter, der ebenfalls, wie selbstverständlich, daraus trank und den Pokal auf dem Altar absetzte. Er leckte über seine Lippen und glaubte den Geschmack von Eisen zu kosten. Menschenblut.
Die Stimme des Meisters unterbrach seine Gedanken. »Halte den Pokal«, forderte er ihn auf.
»Wie Ihr wünscht.«
Der Meister tupfte mit einem Finger in das Blut und malte Striche auf eine geschliffene Steinplatte, die er zuvor zurechtgelegt hatte. Nach und nach entstand die stilisierte Darstellung eines liegenden Seth-Tieres. Dabei rezitierte er eine Lobpreisung.
»Ich rufe dich, der seit Anbeginn der Zeiten den Zorn der Götter bestimmt. Dich, das unbewegte Zentrum des Seins, dich rufe ich, den Ehrfurcht gebietenden Herrscher über das Firmament, den Grausamen, Verwüster und Erneuerer, den Unbekannten und Unwiderstehlichen, der die Unwürdigen und Unwissenden verabscheut.«
Neferkarê entnahm einer Schatulle schmale Papierstreifen und übergab sie dem Meister.
»Dich rufe ich, Kraftvollster in der Neunheit der Götter von On , auf dass du gewährst, worum ich dich bitte.«
Der Meister unterbrach die Huldigung und tauchte Papierstreifen in das Blut. Er legte die Streifen zum Trocknen neben die Kerzen auf ein Tablett.
»Ich rufe dich, der du über die Mächte des Schicksals herrscht.«
Auf Geheiß des Meisters nahm Neferkarê die Opferschale mit dem Menschenblut und folgte ihm um den Altar herum.
»Höre mich, Hüter der Lebenden und gnadenloser Rächer, denn ich rufe dich bei deinen heiligen Namen. Empfange das Trankopfer.«
Der Meister tunkte einen Pinsel aus Binsen in das Blut und betupfte damit den Mund der Seth-Statue.
»Höre mich und erfülle meinen Wunsch.«
Sie verneigten sich tief.
»Komm hernieder zu uns, Zermalmer deiner Feinde. Vernichte das Chaos und vollende die göttliche Ordnung.«
Sie traten zurück vor den Altar und Neferkarê stellte die Schale ab. Der Meister wählte aus den blutgetränkten Papierstreifen die trockenen aus und wickelte sie um Räucherstäbchen. Außen herum band er verschiedene Kräuter fest. Er entzündete die Stäbchen an einer Kerze und stellte sie in ein Tongefäß. Neferkarê rümpfte die Nase. Der Geruch erinnerte ihn an verbranntes Gummi.
Der Meister legte die Handflächen gegeneinander und hob sie über den Kopf. Er blickte in die Augen der Seth-Figur und verneigte sich tief. Neferkarê tat es ihm gleich. Eine Weile verharrten sie in gebückter Haltung.
Auf ein Zeichen des Meisters hin richteten sie sich auf. Die Zeremonie war beendet.
»Wie ist Euer Gefühl, Maître? Zeigt sich der Glorreiche bereit, unsere Huldigung und das Blutopfer gnädig anzunehmen?«
»Ich bin guter Hoffnung. Halte dich aber auf jeden Fall bereit, das Ritual zu wiederholen.« Der
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