Nemti
Herz schlug bis zum Hals.
»Vernichter falscher Worte, ewiger Sturm der Welten.« Leise, aber mit Nachdruck gesprochene Worte drangen an sein Ohr. »Heil dir, Mächtiger. Ich rufe dich an mit dem mächtigen Namen des Herrn der Welt, mit Worten, die du nicht überhören kannst.«
Der Maître de la sagesse , wie er genannt werden wollte, der Meister der Weisheit, bereitete die Zeremonie vor. Der Geruch von verbrannten Kräutern, der ihm entgegenschwebte, war nicht für empfindliche Nasen geeignet.
Neferkarê sog den Duft tief ein und schloss die Augen. Der Geruch, die Litanei des Maître und die Atmosphäre im Tempelraum vermittelten ihm das Gefühl von Geborgenheit. Hier konnte er eins werden mit seinem Gott. Doch nahm dieser die Gabe an? Es würde einige Tage dauern, bis er die Antwort darauf wahrnehmen könnte. Er warf einen letzten Blick auf die Kühlbox und trat entschlossen durch den letzten Vorhang.
Der Korridor öffnete sich zu einem Gewölbe. Links und rechts standen auf Sockeln etwa einen Meter große Figuren mit Lendenschurz, die Tempelwächter. Bizarre Tiermasken bedeckten ihre Gesichter, in den Händen trugen sie Speere, deren Spitzen schräg nach oben wiesen. Ihre nackten Oberkörper waren blutrot bemalt. Neben den Figuren loderten in überdimensionalen Kerzenständern rußende Fackeln.
Um den Meister nicht zu stören, huschte Neferkarê leise zwischen den Statuen hindurch, blieb stehen und verneigte sich. Die Fackel stieß er in eine Schale mit Sand. Sie erlosch mit leisem Zischen.
Bunt verzierte Pfähle bildeten einen Halbkreis um einen Altar.
Der Meister stand mit erhobenen Armen vor dem Altartisch. Schweißtropfen perlten von seinem kahlen Schädel und flossen über den Nacken. Er trug eine reich bestickte Tunika, die bis zu den Knöcheln hinunterreichte und über den Hüften mit einer golddurchwirkten Kordel gerafft war.
»Du kommst zur rechten Zeit, Neferkarê«, sagte er, ohne sich umzusehen.
»Ihr habt mich bemerkt, Maître? Ich wollte Euch nicht stören.«
Langsam wandte sich der Kahlköpfige um. Seine aufrechte Haltung und die wachen Augen zeugten von Willensstärke und Durchsetzungsvermögen. Seine rechte Hand schmückte ein Ring, der eine Sonne darstellte. Das Gesicht des Mannes rötete sich vor Aufregung, als er Neferkarê ansah. Eine dicke Ader auf seiner Stirn begann zu pulsieren.
»Du hast die Opfergabe für den Glorreichen mitgebracht?«
Neferkarê zog den Tragegurt von der Schulter, packte den Kühlbehälter und hielt ihn ausgestreckt vor seinen Körper. »Bittet den Glorreichen, das Opfer in unserem Namen anzunehmen.«
Der Meister deutete mit einer Geste an, dass er vortreten möge. Neferkarê ging gemessenen Schrittes auf ihn zu und übergab die Box. Der Kahlköpfige stellte sie auf einem Tisch neben dem Altar ab. Nach Handbewegungen, die Neferkarê nicht zu deuten wusste, holte der Meister den Behälter aus der Box und platzierte ihn auf dem Altar.
Er sah sich im Tempelraum um. Zum ersten Mal seit Wochen war er wieder hier. Der Meister hatte ihm befohlen, zu meditieren und sich emotional auf seine Mission vorzubereiten. Er selbst kümmerte sich um die Ausgestaltung des Tempels.
Hinter dem Altar stand, flankiert von hell lodernden Fackeln, eine lebensgroße Statue von Seth, dem Glorreichen. Bizarre Schatten wogten geisterhaft über die Wände. Wächterfiguren kreuzten ihre Speere über Seths Haupt. Wie jedes Mal rollte ihm auch heute ein kalter Schauder über den Rücken, wenn er die Figur betrachtete.
Auf einem menschlichen Körper ruhte der Kopf des sogenannten Seth-Tieres mit einer langen, nach unten gebogenen Schnauze und aufrecht stehenden, eckig geschnittenen Ohren. In der rechten Hand trug die Figur, die mit einem Lendenschurz bekleidet war, einen Papyrusstab, links ein Anch , die Lebensschleife in Form eines Henkelkreuzes, Sinnbild für das körperliche Leben und das Weiterleben im Jenseits. Die Augen hatte der Meister nachgemalt. Ihr Blick zog Neferkarê in seinen Bann.
»Nackter, du bist bekleidet, Vollendeter, du bist vollendet.«
Wie durch Watte hindurch vernahm er die Stimme des Meisters. Dieser schob einen bronzenen Kultlöffel, die Nachbildung einer schöpfenden Hand, an den linken Rand des Altars und füllte Weihrauchharz in die Löffelschale.
»Komm her und assistiere mir«, forderte ihn der Meister auf. Er zündete Kerzen an, die auf dem Altartisch verteilt standen.
Neferkarê wusste, was zu tun war, denn der Meister hatte ihn gründlich auf das
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