Nemti
Herrgottsfrühe endete für Lukas die Nacht. Es ärgerte ihn, dass Doktor Abromeit nicht wie abgesprochen, das Fax mit den gewünschten Daten geschickt hatte. Möglicherweise gab es dafür eine einfache Erklärung, aber er war trotzdem enttäuscht.
Er zog einen Pullover über und ging hinaus in die Kühle des Morgens.
Nemti flackerte, hervorgerufen durch die Luftunruhe in der Atmosphäre, über dem südlichen Horizont und vermittelte einen friedlichen Anblick. Unvorstellbar, dass ein solches Objekt Krankheiten, Kriege, Mord und Totschlag und sonstiges Unheil über die Erde bringen sollte, wie die Menschen früher glaubten. Wenn sich allerdings herausstellte, dass das Erscheinen des Kometen in einem Zusammenhang mit den aktuellen Morden stand, hatte dieser Aberglaube dann nicht doch einen realen Hintergrund? Lukas verwarf den Gedanken sogleich wieder. Nein. Aberglaube war von Menschen gemacht. Aberglaube findet in den Köpfen statt.
Lukas blickte ein weiteres Mal zum Himmel. Hatte Nemti indirekt etwas mit den Morden zu schaffen? Er wusste keine Antwort. Noch nicht.
Drei Stunden später stürmte er in das Büro von Weinbrecht und Beyer.
»Ist ein Fax für mich da?«, rief er, als er den Raum betrat, ohne einen der beiden Männer direkt anzusprechen. Sein Blick heftete sich auf das Faxgerät, das sich auf einem kleinen Tisch an der gegenüberliegenden Wand befand.
»Guten Morgen«, begrüßten ihn die Kommissare wie aus einem Mund. »So viel Zeit muss sein.«
Lukas bekam nur ein leises »Morgen« heraus. Er war viel zu aufgeregt, denn in der Ablage des Faxgerätes lagen mehrere Blätter. Das musste sie sein, die ersehnte Antwort. Im Vorübergehen, er umrundete gerade den Schreibtisch von Beyer, warf er seine Tasche gedankenlos auf einen Aktenbock. Im nächsten Augenblick zog er die Blätter aus der Ablage und überflog sie.
»Entschuldigen Sie bitte.« Lukas’ Anspannung legte sich ein wenig. »Haben Sie schon einen Blick darauf geworfen?«
»Sicher, hätte ja auch für einen von uns sein können«, erwiderte Weinbrecht.
»Stehen auch keine Geheimnisse drin. Aber trotzdem interessant, nicht wahr?«, fragte Lukas.
»Nee, ich weiß nicht. Nur Tabellen mit Zahlen. Muss aber ein wichtiges Fax für Sie sein«, meinte Beyer.
»Sehr wichtig sogar. Vielleicht bringt es uns weiter.«
Weinbrecht lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Wenn ich den Inhalt des Fax richtig interpretiere, geht es um diesen Kometen?«
»Richtig, es sind Daten, die mir Doktor Abromeit vom Observatorium Hoher List zusammengestellt hat.«
»Und die himmlischen Daten brauchen wir für Ermittlungen unserer real-irdischen Morde?«
»Das vermute ich. Bevor ich darüber Auskunft gebe, möchte ich es erst überprüfen. Wenn Sie mich entschuldigen.«
»Praktikanten in Eile sollte man auf keinen Fall aufhalten«, rief ihm Beyer hinterher. »Übrigens hat Habermehl eine Überraschung für Sie.«
Lukas stieß die Tür zu Habermehls Büro auf. Etwas an Beyers Tonfall, als er das Wort Überraschung aussprach, hatte ihm nicht gefallen. Mit dem Fax in der Hand ging er zu seinem Schreibtisch.
»Sie haben die ersehnte Nachricht erhalten?«
»Ja. Ich kümmere mich sofort um die Auswertung.«
»Warten Sie damit. Ich muss Ihnen etwas mitteilen.« Habermehls Stimme klang ernst.
»Was ist los?« Lukas zupfte am Ohrläppchen.
»Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Günther Magerl ist gestern Abend noch festgenommen worden.«
Lukas fiel stöhnend in seinen Drehstuhl, dessen Mittelsäule die heftige Belastung mit einem kreischenden Aufschrei quittierte. Aber der malträtierte Stuhl hielt der Beanspruchung stand. Er warf die Faxblätter auf den Tisch. Sie verloren kurzzeitig an Bedeutung. »Was ist passiert?«
»Das Ergebnis der DNS-Analyse ist gestern am späten Nachmittag vom Landeskriminalamt gekommen, als Sie schon Feierabend hatten.«
Lukas schluckte einen dicken Kloß hinunter, der sich in seinem Hals festzusetzen drohte. »Was schreiben sie?«
»Die Zigarettenkippen vom Veitskopf und aus der Nähe des Stollens stammen eindeutig von Magerl.«
»Verdammt!«, entfuhr es Lukas. Er donnerte seine Faust auf den Tisch.
»Der Schreibtisch ist Landeseigentum und kann außerdem nichts dafür, Herr Dux.«
»Entschuldigung. Nein. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Günther ein feiger Mörder sein soll.« Lukas fiel nach hinten gegen die Lehne seines Stuhls und strich sich durchs
Weitere Kostenlose Bücher