Nemti
unterschiedliche Versionen, was den Täter betrifft. Einmal war er ein gewöhnlicher Strauchdieb, ein andermal eine hochgestellte Persönlichkeit aus dem Umfeld von Napoléon. Sie wissen ja, wie das ist, wenn niemand Genaues weiß und das Wissen aus Gerede geschöpft wird. Wäre sicherlich interessant für Sie, es herauszubekommen. Versuchen Sie es doch.«
»Werde ich, darauf können Sie sich verlassen.«
»Würde mich auch interessieren. Sie haben mich neugierig gemacht.«
Das Gehörte weckte Lukas’ kriminalistische Neugier. Er musste sich konzentrieren, um das Gespräch weiterführen zu können.
»Ich bin erstaunt«, hörte er Abromeits Stimme, »dass Herr Gleißner Ihnen nichts davon erzählt hat.«
»Wissen Sie, wir kennen uns seit der Kindheit, haben uns fünf Jahre nicht gesehen und wie der Zufall es wollte, im Observatorium getroffen. Es gab viel zu bereden. Er ist wahrscheinlich nicht dazu gekommen, weil ihm andere Dinge wichtiger erschienen. Doch jetzt möchte ich auf mein Anliegen zurückkommen.«
»Natürlich.«
»Mir spukt ein Gedanke im Kopf herum, der mich seit gestern unablässig beschäftigt. Da ich jetzt die ganze Geschichte von Nemti kenne, fühle ich mich sogar darin bestärkt, der Sache nachzugehen.«
»Erzählen Sie es mir?«
»Nicht, bevor ich ganz sicher bin. Dazu benötige ich Daten, die Sie mir liefern könnten.«
»Was brauchen Sie?«
»Sichtbarkeitsdaten des Kometen für die Eifel. Zum Beispiel das Datum, als er zum ersten Mal für das bloße Auge sichtbar war, den Zeitpunkt der größten Helligkeit und wann Nemti wieder unsichtbar wird. Ist seine Helligkeit über einen längeren Zeitraum konstant oder nicht? Besondere Erscheinungen, wenn es welche gibt, et cetera pp. Sie wissen, was ich meine?«
»Natürlich. Kann ich Ihnen besorgen. Kein Problem.«
»Danke, das wäre hilfreich. Wann darf ich damit rechnen, Doktor Abromeit?«
»Verbleiben wir so, dass ich Ihnen die Daten zusammenstelle und im Laufe des Tages faxe.«
»Einverstanden. Sie würden mir damit einen großen Dienst erweisen.«
»Rufen Sie mich an, wenn die Sache aufgeklärt ist, und erzählen mir, welche Rolle die Astronomie bei Ihren Ermittlungen gespielt hat?«
»Mache ich gern. Es kann allerdings dauern. Aber Sie hören bestimmt von mir.« Lukas beendete das Gespräch.
»Haben Sie die Informationen erhalten?«, fragte Habermehl, ohne von den Papieren aufzublicken, die er studierte.
»Noch nicht, doch ich weiß jetzt, dass vor zweihundert Jahren in Paris ebenfalls Morde verübt wurden, als dieser Komet am Himmel stand. Wie bei uns waren die Opfer ausgeblutet.« Lukas legte eine Pause ein.
»Erzählen Sie weiter. Vermuten Sie einen Zusammenhang? Gibt es weitere Übereinstimmungen? Hat man den Täter gestellt?«
»Das weiß niemand. Ob die Pariser Polizei wohl die alten Akten aufgehoben hat?«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Darf ich trotzdem Ihren Computer benutzen? Sie kommen doch sicherlich damit ins Internet?«
Habermehl legte die Unterlagen beiseite. »Nehmen Sie Platz und versuchen Sie Ihr Glück. Ich bin für etwa zwei Stunden außer Haus.«
Lukas öffnete den Internet-Browser und rief die Website der Pariser Polizeipräfektur auf. Unter den allgemeinen Informationen fand er einen Hinweis auf die Archives de la Préfecture de Police de Paris .
Habermehl hängte seine Jacke auf den Kleiderständer. »Was haben Ihre Nachforschungen ergeben?«
»Ich hatte mehr erhofft. Leider verfügt das Archiv über keine eigene Internet-Seite. Aber ich habe herausgefunden, wie wir uns an das Archiv wenden können.«
»Lassen Sie hören.«
»Es werden nur schriftliche Anfragen akzeptiert. Der Antragsteller soll sich kurz vorstellen und möglichst genau beschreiben, was recherchiert werden soll. Des Weiteren ist ein Schreiben des Vorgesetzten mit einer plausiblen Begründung für die Verwendung der Informationen erforderlich. Das alles in gutem Französisch.«
»Vorher sollten wir wissen, ob sich eine Anfrage überhaupt lohnt.«
»Es gibt zwar Archivalien über die Opfer von Gewalttaten ab dem Jahr 1804, aber in die alten Unterlagen kann man nur Einsicht nehmen. Die werden nicht kopiert.
»Dann sollten wir es dabei belassen und uns um die aktuellen Morde kümmern.«
»Eine Anfrage bringt zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nichts. Uns liegen im Moment keine konkreten Hinweise vor, nach denen eine sinnvolle Recherche möglich wäre.«
Samstag, 15. September 2001
I n aller
Weitere Kostenlose Bücher