Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
knisterte.
»Also?«
»Der Guru«, sagten sie gleichzeitig.
Das, was sie schließlich erzählten, klang komplett absurd.
»Der Guru hat etwas ganz Besonderes vor«, sagte Friedrich. »Er meint, wir haben alle ein Riesenproblem, und er will versuchen, uns zu helfen.«
»Ich finde, es reicht, wenn er dir hilft.«
Friedrich sagte nichts.
»Was hat er genau vor?« fragte ich.
»Das hat er noch nicht erklärt.«
»Warum wundert mich das gar nicht?«
»Wir müssen doch erst alle miteinander warm werden, bevor es wirklich losgeht.«
»Noch so was Ekelhaftes, und du fliegst hier raus.«
»Wir gehen sowieso gleich, aber du musst nächsten Donnerstag kommen. Bitte. Du darfst auf den Aufnahmen nicht fehlen.«
Und da begann es mir endlich zu dämmern.
Bei Friedrich schien sich eine Schleuse geöffnet zu haben. »Der Guru will uns filmen«, sprudelte es aus ihm heraus. Er reihte die Wörter hastig aneinander, verschluckte sie immer wieder, als hätte er Angst, dass Marlon oder ich ihn abwürgen würden. Aber wir schwiegen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob Marlon überhaupt zuhörte. »Vielleicht macht er ja einen richtigen Film über uns. Einen Dokumentarfilm über eine Gruppe von Behinderten. Einblicke, die mit Vorurteilen brechen sollten, verstehst du. Stell dir vor, der Film wird dann in allen Zeitungen rezensiert und zu Festivals eingeladen. Wir werden berühmt. Ich hätte schon einen Titelvorschlag. ›Die glorreichen Sieben‹, super, oder?«
»Wir sind doch nur sechs«, sagte ich mit schwacher Stimme. »Oder zählst du doppelt?«
Er lächelte entwaffnend. »Ich habe den Guru mitgezählt. Jedenfalls hat er gesagt, dass am Ende eine große Überraschung auf alle wartet. Wenn er das alles heil übersteht.«
»Süß«, sagte ich.
Marlon ertastete den Geldschein, den ich inzwischen zurück auf den Tisch geworfen hatte, und steckte ihn wieder ein.
»Du kapierst einfach nicht, dass es ausnahmsweise nicht um dich geht«, sagte er und stand auf. »Komm, Schweinebacke.« Und er bewegte sich, mit den Fingerspitzen die Wand berührend, in Richtung Ausgang.
Ich holte sie in der Tür ein und legte Marlon die Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. Wir waren schließlich noch nicht fertig. Ich schlug auch nicht zurück, als Marlon meine Hand mit einer verächtlichen Bewegung abschüttelte und mir dabei wie zufällig den Ellbogen in die Seite rammte. Das hätte wehtun können, aber es war nicht mehr so einfach, mir wehzutun.
Ich wollte sicher sein, dass ich ihn richtig verstanden hatte. »Janne?« fragte ich. »Geht es um Janne?«
Er zuckte mit der linken Schulter.
»Also ich«, sagte Friedrich von hinten, »ich tu es auch ein wenig für mich.«
»Ich heiße Friedrich, und mein Körper löst sich von innen auf«, sagte Friedrich in die Kamera, die der Guru vor seine Nase hielt. Wir saßen auf der Wiese hinter dem Familienbildungszentrum und sahen zu. Nur Janne hatte sich abgewandt und den Kopf in die Hände gestützt. Marlon hockte neben ihrem Rollstuhl im Gras und fuhr mit dem Finger über den Reifen.
Er hatte etwas, was ich schon früher nicht gehabt hatte und auch nie haben würde. Was keiner von uns hatte, am allerwenigsten der Guru. Es war weder Kaltschnäuzigkeit noch das, was als Charisma bezeichnet wurde. Es war etwas, was einen auf seine Worte horchen ließ, weil er wirkte, als wüsste er ein Geheimnis, das er nicht verraten würde. Er brauchte Janne nicht, weil ihm auch viele gesunde Mädchen auf ihren eigenen Beinen nachlaufen würden. Er wusste nicht einmal, dass Janne schön war.
Aber ich wusste es. Und vor 395 Tagen hätte ich mich neben Janne gesetzt und sie angelächelt. Man hatte immer behauptet, dass ich ein charmantes Lächeln hätte. Ich hatte es gehasst, das zu hören; es hatte harmlos und dämlich geklungen. Ich hatte Lucy an meiner Seite gehabt und ich war ihr treu gewesen, wenn auch eher aus Faulheit denn aus wirklicher Überzeugung. Abgesehen von der kurzen Knutschepisode mit Johanna, die Frau Hermann einige Male als Vertretung geschickt hatte, als sie selbst mal wieder eine Krankenhausmatratze vollreihern musste – so drückte sie sich jedenfalls aus.
Ich hörte meine eigenen Zähne knirschen.
Richard hatte die Halterungen seiner Prothese gelöst und machte irgendwas an seinem Stumpf. Ich konnte nicht umhin, rüberzuschielen. Der Guru wandte sich von Friedrich ab und richtete das Kamera-Auge auf das abgetrennte Bein, das im Gras lag.
»Nein«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher