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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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wünschen müsste.
    Ich hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Am liebsten hätte ich auf den Boden gespuckt.
    »Wir machen weiter«, sagte Janne.

    Wir machen weiter , hatte Janne gesagt.
    Keiner fragte sie, wen sie mit wir meinte. Sie und Marlon? Uns alle? Seit wann waren wir ein wir ? Wir hatten kaum mehr als ein paar Sätze miteinander gewechselt, waren ein einziges Mal zusammen Eis essen gegangen und widerten uns gegenseitig an. Ich konnte überhaupt nicht begreifen, warum ich schon wieder hier war und warum die anderen da waren. Hatten sie etwa auch nichts Besseres zu tun, warteten zu Hause auch nur Welse und Lexika auf sie?
    Und trotzdem widersprach keiner. Nicht einmal ich, obwohl ich plötzlich sehr wütend auf Janne war. Ich wollte, dass sie mich anschaute. Ich wollte, dass sie mich anlächelte. Ich wollte, dass sie weinte. Oder irgendwas tat, was verriet, dass sie ein Mensch war und keine im verkrüppelten Körper gefangene Außerirdische.
    Der Guru war ein wenig sprachlos.
    »Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte er schließlich, und es klang wie »Schert euch alle zum Teufel«.
    »Wer von euch ist schon achtzehn?« fragte er ein wenig verzweifelt in die Runde und sah dabei merkwürdigerweise mich an, als hätte mein Alter nicht neben meinem Foto – dem von davor – in jeder Zeitung des Landes gestanden.
    Kevin hob langsam den rechten Arm. Sonst niemand.
    Der Guru blinzelte. In seinem Kopf schien es zu rattern, als würde er irgendwas nachrechnen. »Okay«, sagte er. »Hab einen kleinen Fehler gemacht. Nicht einmal du, Marlon?«
    Marlon lehnte sich wortlos zurück.
    »Jetzt legen Sie doch erst einmal los«, sagte Janne. »Und dann sehen wir weiter.«

    Der Guru sagte, wenn er weitermachen solle, dann müssten auch wir ihm entgegenkommen. Das bedeutete, pünktlich zu erscheinen, Fragen bereitwillig zu beantworten und die anderen Teilnehmer nicht zu schikanieren. Wir müssten uns öffnen, schonungslos und vertrauensvoll. Und am Ende würden wir gemeinsam herausarbeiten, was uns trotz all der Unterschiede miteinander verband.
    Janne seufzte laut.
    »Haben Sie so etwas überhaupt schon mal gemacht?«
    »Geht das jetzt wieder los?« fragte der Guru.
    »Entschuldigung.«
    »Wenn du auf die Aufnahmen anspielst, mit denen wir alles dokumentieren wollen: Ich weiß schon, wie herum man eine Kamera hält«, sagte der Guru eingeschnappt. »Ich war, irgendwann in einem früheren Leben, sogar kurz auf einer Filmhochschule.«
    »Wahrscheinlich als Hausmeister«, murmelte ich.
    Keine Ahnung, ob Janne ihn hörte oder mich oder überhaupt etwas. Marlons Hand hatte gerade wieder den Reifen ihres Rollstuhls berührt, und wir sahen alle verlegen zur Seite, als wären die beiden plötzlich vor unseren Augen übereinander hergefallen.

          Dirk sprangen fast die Augen aus dem Kopf, als ich am Mittwoch zum Abendessen in der Küche auftauchte. Wahrscheinlich ging er inzwischen davon aus, dass Claudia mich tagsüber in meinem Zimmer einschloss und nur spätnachts wieder rausließ, wenn sich alle in Sicherheit gebracht hatten. Ich trug Jeans und hatte mir ein weißes Hemd gebügelt, mir war einfach danach.
    »Soll ich den Tisch decken?« fragte ich.
    »Gern«, sagte Claudia, die mit dem Rücken zu mir am Herd stand.
    Es roch nach Knoblauch und einem indischen Gewürz. Claudia wendete Lammkoteletts in der Pfanne, das Fett spritzte. Dirk saß still und blass da.
    Für einen Moment versuchte ich mich in Claudia hineinzuversetzen. Stellte mir vor, dass an Dirks Stelle Janne saß. Mir brach der Schweiß aus. Ich wusste nicht, ob ich Claudia jetzt bewundern oder bemitleiden sollte. Vielleicht war es ein Fehler, mich ausgerechnet heute Abend wieder unter Menschen mischen zu wollen.
    »Störe ich?« Ich stellte große flache Teller auf den Tisch.
    »Quatsch, wir freuen uns«, antwortete Claudia mechanisch. Dirk nickte zur Bekräftigung gleich mehrmals.
    Claudia trug die Pfanne zum Tisch, setzte sie ab und küsste Dirk flüchtig auf die Wange. Ich guckte zur Seite.
    Sie sahen zusammen ein wenig absurd aus. Bei der Gelegenheit stellte ich fest, dass ich Claudia schon lange nicht mehr aufmerksam betrachtet hatte. Vor einigen Jahren noch hatte sie deutlich beschwingter gewirkt. Jetzt erinnerte sie mit ihren schweren Augenlidern und dem eckigen Kinn an einen Strauß. Seit sie abgenommen hatte, fielen die Falten in ihrem Gesicht richtig auf. Dafür hatte sie wirklich eine Superfigur. Ihre Röcke schienen immer kürzer zu

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