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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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ich geschrien. Man hatte mir erzählt, dass ich damals auch geschrien hatte. Ich wollte es nicht so genau wissen – ich hätte den hohen, unmenschlichen Ton, der bis heute in meinen Ohren nachklang, niemals mir selbst zugeordnet. Ich spürte ihre Blicke auf mir, auf meinen Handrücken, dem heilen wie dem verschandelten, auf dem, was meine Hände niemals wirklich verbergen konnten, genauso wenig wie die Sonnenbrille. Ich fühlte mich, als wäre ich nackter als nackt, als hätten sie mir auch die Haut abgezogen, um zu gucken, wie ich darunter aussah. Ich schlug mit beiden Ellbogen aus und erwischte jemanden ziemlich hart. Dann spürte ich eine feuchte, beißende Berührung an meiner Handkante und knurrte.
    »Ich wisch dir nur das Blut ab«, sagte Richard.
    »Kannst du dich bewegen?« Seiner Stimme nach zu urteilen hatte der Guru bereits die Hosen gestrichen voll.
    Die Frage interessierte mich auch. Mir tat nicht nur das Gesicht weh, sondern zusätzlich alles vom Hals abwärts. Auch dies war ein wesentlicher Unterschied zu damals. Zwar hatte mich der Rottweiler ebenfalls zu Fall gebracht, und ich hatte mir den Hinterkopf und den Arsch angeschlagen. Aber es hatte keine große Rolle mehr gespielt. Jetzt entdeckte ich zum ersten Mal, dass ich eine Wirbelsäule hatte, und war unsicher, ob ich sie weiter benutzen konnte. Auch meine Schulterblätter und Hüftknochen spürte ich auf eine Art, die mir nicht gefiel.
    »Keine Ahnung«, beantwortete ich die Frage des Gurus. Meine Stimme klang ganz fremd. Der Guru tat mir leid. Wenn ich nun auch noch querschnittsgelähmt war, würde er ganz schön Ärger bekommen.
    »Hat das eigentlich jemand gefilmt?« fragte ich.
    Der kalte Waschlappen klatschte wieder in mein Gesicht. Ich schob ihn beiseite, kämpfte gegen die Schwerkraft und setzte mich ächzend auf. Etwas fiel in meinen Schoß. Ich ertastete die Brille, setzte sie auf und öffnete die Augen.
    Das Erste, was ich sah, war das Gesicht des Gurus. Darin nichts als hochprozentige, schamlose Erleichterung: Als hätte ihm jemand einen Lottogewinn versprochen und dann wieder gestrichen und am Ende doch ausgezahlt. Offenbar war er der Meinung, wer sich von allein aufrichten konnte, war nicht wirklich schwer verletzt. Im Grunde dachte ich genauso. Richard griff ungefragt in mein Gesicht, um mir die Brille zurechtzurücken. Jetzt sah ich es auch: Ein Glas war zerbrochen.
    Ich schaute durch die Risse im Glas in die Gegend. Janne war nicht in Sicht. Marlon stand etwas abseits. Alle anderen hockten um mich herum, und die Betroffenheit, gemischt mit einer Prise Sensationsgeilheit, wich langsam aus ihren Gesichtern. Der Guru sah jetzt aus, als wäre er in einen Hundehaufen getreten.
    »Was ist in euch gefahren?« brüllte er ohne jede Überleitung los, das Kinn zwischen mir und Marlon schwenkend. Offenbar machte er sich überhaupt keine Sorgen mehr um meine Knochen. »Seid ihr wahnsinnig geworden? Euch zu prügeln, und auch noch auf der Treppe? Ist euch der Verstand hinten rausgerutscht?«
    »Alles meine Schuld«, sagte ich, bevor Marlon den Mund öffnen konnte. »Es wird nicht wieder vorkommen.«
    »Das garantiere ich. Ich ruf sofort deine Mutter an.« Der Guru versuchte aufzustehen. Er hatte zu lange in der Hocke gesessen, seine Beine waren wohl eingeschlafen, und die gekünstelte Traurigkeit in seiner Stimme hatte einen verkrampften Unterton. »Das war’s. Tut mir furchtbar leid für dich, Marek.«
    Ich fuhr ebenfalls hoch und stellte bei der Gelegenheit fest, dass auch ich stehen konnte. Mein Schädel brummte zwar wieder mehr und die Knie wurden verräterisch weich, aber das war immer noch besser, als wie ein Bärenfell zu ihren Füßen zu liegen.
    »Denk nicht einmal dran«, sagte ich.

          Der Guru entschied sich für Erpressung. Entweder ich ließ mich von einem Arzt untersuchen, oder er würde meine Mutter informieren, damit sie darüber entschied, ob ich bleiben durfte. Obwohl ich mir vor dem Sturz nichts sehnlicher gewünscht hatte, als endlich von hier wegzukommen, wehrte ich mich nun mit Händen und Füßen.
    »Also Arzt«, fasste der Guru zusammen.
    Der nächste war im Dorf. Seine Telefonnummer stand mit großen Buchstaben an jeder freien Wand in der Villa. Der Guru machte sich auf die Suche nach einem Fleck, an dem er ein bisschen Netz hatte, um den Bauern mit dem Anhänger als Krankentransport anzuheuern.
    »Ich komme mit«, sagte Marlon plötzlich.
    »Nein!« sagten der Guru und ich gleichzeitig, und dann dachte ich:

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