Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
seinen Begleiter langsam und mühevoll höher.
»Gib mir die Hand!«, hörte Rhonan Caitlin über sich und setzte den linken Fuß auf Gideons Schulter.
Der schob, so gut er konnte, von unten, Caitlin zerrte von oben. Endlich war es irgendwie geschafft. Der Prinz lag um Luft ringend auf einem Felsplateau. Gideon kam kurz nach ihm über den Rand geklettert. Zusammen mit Caitlin zog er seinen Begleiter in eine Felsnische. Sie war nicht groß, bot aber zumindest etwas Schutz vor dem Schnee.
Caitlin legte ihre Hände an Rhonans Schläfen. Den Grund dafür lieferte sie umgehend. »Ich weiß nicht, ob es klappt, aber vielleicht kann ich dir helfen. Erhol dich bloß schnell wieder! Wenn Jäger oder Wölfe kommen, sind wir sonst verloren. Ich hab weder Dolch noch Tschuka.«
Gideon versuchte, zu Atem zu kommen, und betrachtete dabei den Prinzen. »Neue Verletzungen?«, fragte er.
Sein Begleiter schüttelte den Kopf.
»Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, murmelte der Verianer und ließ sich gegen die Felswand sinken.
Immer noch hörten sie die Wölfe. Ein markerschütternder Schrei ließ Gideon frösteln. Caitlin nahm die Hände von Rhonans Schläfen und sackte zusammen. »Hat es was gebracht?«
Rhonan schob sich an der Felswand hoch, bis er saß, und machte eine kurze Bestandsaufnahme. Die Schmerzen im Bein waren auf ein erträgliches Maß abgeebbt, und die Erschöpfung war tatsächlich nicht mehr ganz so bleiern. Zumindest sah er wieder scharf. Er ließ die Schultern kreisen, hob die Arme und war überrascht, alles bewerkstelligen zu können. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet und warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Doch, wirklich! Danke, Prinzessin! Auch vorhin ... das hast du gut gemacht.«
Weder Dank noch Lob erfreute sie. Ihre Augen waren kugelrund und tränennass, ihr Gesicht bleich. Nackte Angst war darin zu lesen, und sie bebte am ganzen Körper. Er streckte seine Hand aus, und sie kroch umgehend auf ihn zu, schmiegte sich an ihn und vergrub ihr Gesicht im Fellmantel. Rhonan legte seine Arme fest um sie und flüsterte in ihr Haar: »Ganz ruhig. Hier geschieht dir nichts.«
»Glaubst du, wir sind hier sicher?«, fragte Gideon. Er konnte immer noch nicht glauben, was um ihn herum geschah.
Rhonan schloss müde die Augen, nickte aber. »Sie werden sich draußen austoben. Fleisch dürfte in jedem Fall reichlich da sein für den Sieger!«
»Wer wird gewinnen?«
Der Prinz überlegte nicht lange. Die schwarzen Wölfe waren zwar zum Jagen und Töten abgerichtet, aber die Schneewölfe kämpften täglich um ihr Überleben. »Die Schneewölfe«, erwiderte er.
»Und du bist dir sicher, dass sie nicht hierherkommen?«
»Sie werden sich satt fressen und dann in ihr Lager zurückziehen. Sie töten, weil sie Hunger haben, nicht, weil sie Spaß am Töten haben.«
Waren auch die Worte beruhigend, legte sich die Angst bei Gideon doch nicht ganz, als er sah, dass Rhonan einen Dolch griffbereit neben sich legte.
»Nur für alle Fälle«, erklärte der. »Falls sich doch mal einer hierher verirrt.«
In diesem Augenblick erschien auch schon ein Wolfsjäger zwischen den Felsen. Rhonan packte den Dolch, legte ihn aber umgehend wieder aus der Hand. Ein grauenhafter Schrei wurde von den Bergwänden zurückgeworfen. Ein Schneewolf hatte sich im Bein des Jägers verbissen. Zwei weitere umkreisten ihr Opfer, sprangen es an, schlugen ihre Zähne in Brust und Arme. Schmerzensschreie jagten Gideon eisige Schauer über den Rücken. Rhonan ließ eine Hand auf der Waffe liegen, legte aber seinen anderen Arm fest um Caitlins Kopf. Weder die grausamen Bilder noch die schaurigen Geräusche waren einem Mädchen zuzumuten.
Gideon schluckte heftig. Obwohl er sich ebenfalls die Ohren zuhielt, war der Todesschrei des Jägers nicht zu überhören.
Die Wölfe zerrten und zogen, zerrissen ihr Opfer und kämpften spielerisch gegeneinander um die größten Stücke. Eingeweide wurden freigelegt, Körperteile verstreut. Endlich hatte jeder Wolf seinen Anteil an der Beute. Nur noch ihr Reißen und Schmatzen war zu hören.
Es dauerte lange, bis sie sich endlich zurückzogen. Kleiderfetzen, Blut und abgefressene Knochen blieben zurück.
Gideon hatte längst die Augen von der entsetzlichen Szene abgewandt und kämpfte gegen aufsteigende Übelkeit an. Mit unbewegter Miene hatte Rhonan dem ungleichen Kampf und dem Festschmaus zugesehen, und der Gelehrte fragte sich, ob den Prinzen überhaupt noch etwas erschüttern konnte.
Die Geräusche
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