Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
Er wandte sich höflich ab, überlegte, ob er vielleicht besser ins Zelt gehen sollte, um den Kuss nicht zu stören, als er Rhonans Räuspern und dann dessen Stimme hörte.
»Wir sollten schlafen gehen«, erklärte der gerade betont sachlich und räusperte sich erneut. »Wir brauchen Erholung. Außerdem ist es hier draußen viel zu kalt. Geh schon mal vor, Prinzessin!«
Das erste, trübe Licht des Tages kroch über den Berg.
Gideon erwachte mit einem Frösteln und versuchte, unter den Fellen noch ein wenig Wärme zu finden. Er fühlte sich furchtbar, spürte Muskeln, von denen er vorher noch nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß. Sogar sein Kiefer schmerzte. Beim Klettern gestern hatte er wohl so häufig die Zähne zusammengebissen, dass ihm jetzt das halbe Gesicht weh tat. Seine Lippen waren von der Kälte rissig, genau wie seine Hände, und die Zeltplanen flatterten im Sturm. Als er daran dachte, bald hinaus und erneut klettern zu müssen, ergriff ihn nackte Panik. Er würde es nicht schaffen! Niemals! So sicher, wie er hier lag!
Er drehte sich um und warf einen Blick auf seine Begleiter. Caitlins Kopf lag wie immer in einem Meer von Haaren auf Rhonans Brust, eine Hand umschloss seine Schulter. Sie schlief noch tief und fest.
Gideon sah höher, und sein Blick traf den seines Begleiters.
»Es stürmt«, bemerkte er überflüssigerweise.
»Das wird ein Sautag«, stimmte der Prinz seufzend zu. »Du siehst nicht gut aus, mein Freund.«
»Wenn ich so aussehe, wie ich mich fühle, ist nicht gut die Untertreibung schlechthin. Ich weiß nicht, ob ich heute noch weiterkomme. Mich packt das kalte Grauen, wenn ich nur daran denke, das Zelt verlassen zu müssen. Wie sieht’s bei dir aus?«
»Ich habe von Bolzen geträumt. Vor Schreck bin ich aufgewacht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch einen einzigen ins Eis schlagen kann.«
»Was machen wir jetzt nur?« Gideons Stimme war heiser und völlig mutlos.
»Zum Sesshaftwerden ist dies nicht der richtige Ort. Wir müssen weiter! Müssen wir uns eben mal ein wenig anstrengen!« Sehr überzeugt klang allerdings auch er nicht.
»Ich bin nicht wie du! Ich kann weder die Kälte noch meine Schwäche einfach verdrängen. Ich habe Grenzen, und die habe ich längst erreicht und gestern sogar überschritten.«
»Unsere Vorräte gehen zur Neige. Nicht einmal zurück zu den Horkas könnten wir es schaffen. Du hast die Wahl, weiterzugehen, oder hier dein eisiges Grab zu finden. Bis zur Höhle dauert es vielleicht noch einen halben Tag. Das wird zu machen sein.«
»Ich schaff es einfach nicht mehr! Du weißt, dass ich mir die größte Mühe gebe. Ich sag das nicht nur einfach so.«
Rhonan empfand tatsächlich Bewunderung für den hageren Gelehrten, der sich, ohne zu klagen, weiter und weiter gekämpft hatte. Dass er am Ende war, war verständlich, nicht zu übersehen und völlig unerheblich.
Also versuchte er, Mut zu machen. »Es wird gehen! Du hast mir die Pfeilspitze aus dem Bein entfernt, obwohl du sicher warst, es nicht zu können, du hast gegessen, was Wölfe übrig gelassen haben, obwohl der Gedanke daran dich hat würgen lassen, und du wirst diesen Gletscher auch besteigen, obwohl du es nicht kannst!«
»Die anderen Dinge glaubte ich vom Gefühl her nicht zu können. Jetzt sagt mein Körper: nein! Er sagt es nicht, er brüllt es.«
»Hör nicht hin! Ich werde dir helfen.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt«, log Gideon mit wenig Vertrauen und noch weniger Hoffnung. »Und was ist mit Caitlin? Der wird es heute nicht bessergehen!«
»Wir schaffen das schon.«
Der Verianer staunte nicht zum ersten Mal über die Selbstverständlichkeit, mit der Rhonan vor ihm liegende Aufgaben anging. Wenn ihn etwas gleichermaßen beruhigte wie antrieb, dann war es die ruhige Entschlossenheit seines Begleiters. Ja, sie würden es vermutlich irgendwie schaffen!
Caitlin schmatzte zufrieden, wälzte sich halb auf den Prinzen und schlief weiter, während der sein Gesicht wieder einmal von ihren Haaren befreite.
Gideon schmunzelte, aber nur kurz, weil seine Lippen dabei einzureißen drohten, und blickte seinen Begleiter versonnen an. »Sie ist verliebt, Rhonan!«
»Das gibt sich wieder.«
Er stutzte. »Das gibt sich wieder?«, wiederholte er verdutzt. »Sie ist allein deinetwegen gestern so tapfer geklettert.«
»Wenn sich das hält, ist das nur gut für uns.«
»Wir sprechen übers Verliebtsein. Nimmst du das so leicht?« Der Gelehrte konnte kaum glauben, was er gerade
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