Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
Schließlich schien es nichts zu geben, was er nicht meistern konnte.
Nein, schön war er nicht, aber auch nicht so hässlich, wie sie zunächst gedacht hatte. Er ließ sie an einen Barbaren denken, aber sie wollte gar nicht wissen, an wen ihr derzeitiger Anblick jemanden denken ließ. Zumindest hatte er ausdrucksvolle Augen, die blitzten und funkelten, wenn er fröhlich war, was leider viel zu selten der Fall war.
Was sie aber am meisten faszinierte, war, dass sie manchmal glaubte, es mit zwei verschiedenen Männern zu tun zu haben. So stark und selbstbewusst, wie er Feinden gegenübertrat, so zurückhaltend war er, wenn es um persönlichere Dinge ging. Bei ihren abendlichen Gesprächen am Lagerfeuer zog er sich sofort zurück, wenn es um andere Dinge ging als die Planung der Reise. Fragen nach seinen Erlebnissen blockte er ab, Lieder oder Geschichten kannte er nicht, und als sie einmal eigene Zukunftsträume oder -wünsche von ihm hören wollte, hatte er sie für einen Augenblick so hoffnungslos angesehen, dass ihr die Tränen gekommen waren. Immer dann, wenn er nicht den Krieger oder Führer herauskehrte, sondern um ein Zelt herumkroch oder sich verschreckt mit dem Feuer beschäftigte, sobald Gespräche gefühlsbetonter wurden, fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Er war nicht der Prinz, den sie sich vorgestellt hatte, aber der wäre bestimmt auch grässlich langweilig gewesen. Was sollte sie nach ihren Erlebnissen noch mit einem geistreichen Schönling anfangen?
Zum nächsten Bolzen musste sie sich strecken. Da hatte Rhonan offensichtlich ihre Größe überschätzt. Sie keuchte und ächzte und fand es fürchterlich, dass ihre Nase lief und sie sie nicht putzen konnte.
Leider wusste sie nicht, was er von ihr hielt. Dass sie schön war, wusste sie. Er würde sie doch nicht für zu klein halten? Nein, bestimmt nicht! So war sie schließlich viel leichter zu tragen. Sie könnte die schöne, aber auch mutige und tüchtige Gefährtin werden, war schließlich auf dem besten Weg dahin. Er hatte bei den Horkas gesagt, dass sie tapfer gewesen sei. Sie hatte dem Häuptling richtig die Meinung gesagt und immer die Augen offen gehalten, bis der das Messer an Rhonans Schulter angesetzt hatte. In Gedanken daran schüttelte sie sich unwillkürlich, fast rutschte sie ab. Nur durch das straff gespannte Seil gelang es ihr, sich festzuhalten. Er hatte auch gesagt, dass sie gut kämpfen konnte, zumindest hatte sie ihn so verstanden. Erneut hielt sie inne. Er würde doch bestimmt nicht immer wieder mit ihr üben, wenn sie es in seinen Augen nicht wert wäre. In der Mine hatte er gesagt, sie hätte geschickte Hände. Wenn er jetzt sah, dass sie sogar mit Rucksack kletterte, würde er bestimmt überrascht sein und sie wieder Tochter der Wildnis nennen. Das hörte sie gern. Es klang viel schöner als Prinzessin. Wenn ...
Das Seil wurde gestrafft, blieb gespannt, zerrte sie unsanft voran und aus ihren Träumen. Tapfer kletterte sie weiter, kletterte ganz allein eine steile Gletscherwand hoch. Viel weiter durfte es allerdings nicht mehr gehen. Sie keuchte immer lauter, hangelte sich zügig von Bolzen zu Bolzen, weil das Seil sie unbarmherzig weiterzog, und plötzlich war sie oben.
Rhonan zog sie ächzend über den Rand. »Na, endlich! Ich dachte schon, du wolltest zwischendurch ein Schläfchen halten!« Er löste das Seil und warf es wieder nach unten. »Ist stürmisch! Setz dich dicht an die Wand, damit du nicht wegwehst.«
Maßlos enttäuscht über diese Begrüßung ließ sie sich auf den Hintern fallen und fuhr sich über die Nase. »Meine Finger sind taub vor Kälte und zerkratzt. Das tut ganz schön weh.«
»Gideon wird sich darum kümmern. Wir haben noch ein ziemliches Stück vor uns!«
»Wir sollen heute noch weiter?«, krächzte sie fassungslos.
»Willst du etwa hier übernachten?« Rhonan achtete nur noch auf das Seil.
»Ich bin vollkommen erschöpft«, klagte Caitlin. »Es war nicht einfach, zu klettern, aber ich habe es geschafft ... sogar mit Rucksack!«
»Fein!«
Die Prinzessin sackte von ihrer Enttäuschung übermannt zusammen und kämpfte mit den Tränen. Um sich abzulenken, sah sie sich um. Das führte aber nur dazu, dass sie sich noch kleiner und furchtsamer zusammenkauerte. Sie sah nur noch Wolken, die greifbar nah vom Sturm getrieben vorüberjagten. Die Erde schien unerreichbar fern, und ihr Ziel war nicht zu sehen. Sie wähnte sich im Nirgendwo und erschauerte, als der Wind, der sich in den Bergen
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