Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
weißen Gewändern huschten durch lichtdurchflutete Gänge. Er spürte Ketten, die ihn zogen. Eine alte Frau lachte und schwang die Peitsche. Er versuchte unwillkürlich auszuweichen, fiel und prallte auf etwas Hartes. Sein Bein jagte Schmerzwellen durch den Körper. Er schrie auf, und etwas drang in seinen Mund. Er bekam keine Luft mehr. Ein Schleier hüllte ihn ein, drohte ihn zu ersticken. In seinem Kopf sammelte sich Blut, er wand sich, aber seine Beine waren gefesselt. Er versuchte zu boxen, konnte aber seine Arme kaum bewegen.
Endlich wachte er auf. Seine Beine steckten noch auf dem Bett im Bettlaken, während sein Oberkörper sich im abgerissenen Vorhang zur Stube verheddert hatte. Mühsam versuchte er, sich daraus zu befreien, und strampelte gleichzeitig mit den Füßen. Er hörte Gelächter, Stoff zerriss, und er konnte seinen Kopf durch ein Loch im Vorhang stecken und sog dankbar Luft ein.
Milla saß auf dem Bett, hielt sich den Bauch vor Lachen und prustete: »Was machst du da unten?«
»Mich mit meinem Schicksal abfinden.« Rhonan zuckte die Schultern, als er ihr verständnisloses Gesicht sah, und bat: »Hilf mir raus aus dem Zeug, bevor ich noch sämtliche Laken zerreiße.«
Zeitgleich im Westen
Danid und Korve warfen ihr böse Blicke zu, und Marga konnte das sogar verstehen. Dass die Sonne bald aufgehen musste, konnte man nur ahnen. Weiter als zwei Pferdelängen reichte die Sicht nicht. Selbst das silbrig glänzende Laub der wenigen Büsche, die ihre Wurzeln allen Widrigkeiten zum Trotz in den schwarzgrauen Stein gekrallt hatten, war noch eingerollt. Noch hing die Nacht in den Bergen und dicker Nebel im Tal.
Marga hatte, umgeben von Schnarchen und eingehüllt in Schweißgestank, keinen Schlaf finden können und hatte zum Aufbruch gedrängt, aber ihre Männer hätten offensichtlich gern noch etwas Ruhe gehabt.
Fröstelnd zogen sie jetzt ihre Mäntel enger und legten sich Kapuzen über.
Marga erteilte letzte Anweisungen, und ihr Atem hinterließ dabei Dampfwölkchen, die sich im Dunkel verloren. Vorreiter Ramon machte sich auf den Weg, und die Hauptmännin wandte sich ihren Schützlingen zu. Stirnrunzelnd betrachtete sie die kleine Gestalt, die in dem neuen Mantel aus mehrfach übereinandergelegtem Wollstoff noch kugeliger wirkte.
Gideon, der sich gerade Handschuhe überstreifte, entgingen ihre besorgten Blicke nicht. »Benötigt Ihr Hilfe, um in den Sattel zu kommen, Meister Cato?«, fragte er seinen Lehrmeister hilfsbereit, aber mit einem belustigten Funkeln in den Augen.
Der drohte ungehalten mit der Faust, hievte sich unter Ächzen aufs Pferd und ließ es antraben, ohne sich weiter um seine Begleiter zu kümmern.
Auch Marga und Gideon bestiegen die Pferde und machten sich auf den Weg.
Marga blieb mit ihm absichtlich etwas zurück. »Ihr kennt den Grund unserer Reise?«
Er nickte nur, und sie fragte weiter: »Wie alt ist Euer Meister?«
Der Mann neben ihr runzelte nachdenklich die Stirn. »Genau weiß ich es nicht, aber ich denke, so um die zweihundert.« Er lachte auf, als sie zusammenfuhr und ihn anstarrte, als hätte er ihr gebeichtet, an der Pest zu leiden. »Keine Sorge! Er wird Euch nicht einfach wegsterben. Wir Verianer werden in der Regel schon um die zweihundertfünfzig Jahre alt. Soll sogar schon mal einen gegeben haben, der die Dreihundert erreicht hat.«
Marga schien nicht sonderlich beruhigt. »Du meine Güte! Die vor ihm liegende Aufgabe ist mit Gefahren und Anstrengungen verbunden. Wird er sie überhaupt durchstehen können? Hat er die leiseste Ahnung davon, was auf ihn zukommt? Ihr werdet ihn vielleicht nicht immer begleiten können.«
Gideons Gesicht wurde schlagartig ernst. »Dem Ruf Eures Vaters wären wir nicht so schnell gefolgt, wenn nicht auch unsere Ahnfrau, die heilige Dala, uns Aufgaben erteilt hätte. Der Meister ist auf dem Weg nach Latohor, weil es seine Bestimmung ist, und er wird immer tun, was nötig ist, genau wie ich.«
»Ihr seid auch Verianer?«
Er nickte. »Bevor Ihr fragt, ich bin dreiundsechzig.« Er hörte ihr trockenes Schlucken und lachte. »Seid Ihr nicht gern mit älteren Herrschaften zusammen? Das ist gar nicht so schlimm, wie Ihr vielleicht denkt. Wir sind genügsam und recht verständig. Ihr hättet es sicher schlechter treffen können.«
Eine Weile waren nur das Plock-Plock der Hufe und das Pfeifen des Windes zu hören, bis Marga sinnierte: »Ich dachte gerade, dass es nicht verwunderlich ist, dass Meister Cato ein Weiser
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