Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
stechenden Blick an.
Die Männer durchwühlten ihre Truhe, ihre Schränke und ihr Bett, während der Zauberer mit aufgerichtetem Haupt durch das Zimmer schritt.
»Deine Milch ist sauer«, stellte er fest. Mathilda sah auf den Eimer, den sie in der Früh hingestellt hatte und den sie tatsächlich vergessen hatte.
»Für Quark«, sagte sie, ohne ihre Miene zu verziehen. Er nickte.
»Ich hörte, dass heute Morgen die Wiese abgemäht wurde.«
»Ja«, sagte Mathilda.
»Warum heute?«, fragte der Zauberer.
»Das Gras war lang, das Wetter ist gut, und wir hatten Zeit dafür.« Mathilda sagte das in einem Ton, in dem sie es auch einem minderbemittelten Kind gesagt hätte. Wieder zog der Zauberer eine Augenbraue nach oben.
»Nichts, Herr Dosdravan«, sagte einer der Männer.
»Dann werden wir uns jetzt den Stall vornehmen«, antwortete der Zauberer.
Die Kühe mussten noch gemolken werden, dachte Mathilda und schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie geradewegs in den Nadelblick von Dosdravan. Konnte der Kerl Gedanken lesen?
Nachdem die Männer ihr Haus verlassen hatten, zog sie die Tür hinter sich zu und folgte ihnen zum Stall. Auch wenn sie die Anwesenheit des Zauberers kaum noch ertrug, wollte sie ihre Mädels nicht alleine mit den Männern lassen.
Im Stall gab es nicht viel zu sehen, nur die Kühe sahen erwartungsvoll Mathilda an. In der angrenzenden Scheune begannen die Männer das Heu zu durchwühlen und mit ihren Schwertern hineinzustoßen. Einige Mäuse flohen hektisch, und auch der schwarz-weiße Kater, der da auf der Lauer gelegen hatte, rettete sich auf einen höhergelegenen Balken, von dem aus er das Treiben missbilligend beobachtete.
Endlich waren sie fertig. Mathilda sah den Männern nach, wie sie weiter zu ihren Nachbarn gingen und auch dort, ohne anzuklopfen, einfach in die Stube traten. Dann nahm sie ihren zweiten Melkeimer und setzte sich neben ihre gute Mina.
Bei der gewohnten Arbeit normalisierte sich ihr Herzschlag. Der Kater strich um ihre Beine und maunzte. Wie immer nach dem Melken füllte sie ihm etwas von der frischen Milch in ein Schälchen und gab dann auch den beiden Kühen frisches Heu, ehe sie wieder zum Haus zurückging, um die frische und die alte Milch zu verarbeiten.
Lu wählte vorsichtig seinen Weg. Er schien genau zu wissen, wohin er gehen musste. Trittsicher suchte er sich einen Pfad zwischen Feldern und Wiesen. Wenn er es für nötig hielt, bog er ab und ging weiter, vorbei an Büschen und Bäumen. Philip musste nur ab und zu seine langen Beine anheben, damit sie nicht am hohen Gras entlangstreiften. Zu mehr war er allerdings auch nicht in der Lage. Durch das Fieber schaffte er es kaum, seinen Kopf aufrecht zu halten, und jedes Ruckeln stach wie tausend Nadeln hinter seinen Augen. In dem schwächer werdenden Licht übersah er zudem immer wieder herabhängende Äste, die ihm dann schmerzhaft ins Gesicht schlugen und seine Wangen zerkratzten. Deshalb legte er nun in jedem kleinen Wäldchen den Kopf auf den Nacken des Esels.
Als es ganz dunkel wurde und Philip nicht mehr erkennen konnte, ob der Esel immer noch nach Westen lief, vertraute er ihm sein Leben restlos an. Er schaffte es ohnehin kaum, die Augen, die von der Hitze seines eigenen Körpers auszutrocknen drohten, offen zu halten. Ein Gefühl für Zeit oder Raum hatte er nicht mehr. Er wusste nicht, wie lange er schon unterwegs war. Er dämmerte vor sich hin und manchmal, wenn er die Augen öffnete, glaubte er Theophil neben sich zu sehen. Hatte die Dunkelheit schon einmal geendet, seit er gefesselt neben seinem Lehrer im Wald gelegen hatte?
Plötzlich blieb Lu stehen. Philip hob mühsam den Kopf und versuchte in der alles umhüllenden Schwärze etwas zu erkennen. Nachdem er lange in jede Richtung gestarrt hatte, erkannte er endlich, dass sie die Straße nach Mendebrun erreicht hatten.
»Wenn ihr die Straße erreicht habt, suchst du ein Versteck in den Büschen …«, hatte Mathilda gesagt. »Komm Lu, bring mich rüber, wir suchen Büsche.« Aber was immer auf dem Feld hinter der Straße wuchs, einen Busch konnte er nirgendwo sehen. Philip überlegte, was er tun sollte. Er wusste nicht genau, wo er sich befand, aber wahrscheinlich nördlich von Wegscheid. Wie weit nördlich? Wenn er nach Süden ritt, konnte es bei Tagesanbruch ein böses Erwachen geben, falls er zu nahe an den Ort herangekommen war. Bestimmt würden Menschen, die ihn sahen, sich an ihn erinnern. Ein großer Bursche auf einem zu
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