Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
Warum sollte keiner wissen, dass es Elben gab? Schließlich erzählte jeder Geschichten über dieses Volk. Andererseits – es waren nur Geschichten, keiner glaubte wirklich an die Existenz dieser Wesen. Oder etwa doch? An all den Märchen über die Elben hatte sein Vater nie besonderes Interesse gezeigt. Trotzdem hatte er sie erkannt, während Philip, der bestimmt alle Erzählungen und Gedichte über Elben kannte, erst gar nicht auf den Gedanken gekommen war, es könnte sich um dergleichen handeln. Und Mutter? Sie hatte sich überhaupt nichts anmerken lassen. Fast könnte man glauben, es handele sich für sie um die natürlichste Sache der Welt.
»Dort drüben sind Tücher«, riss der Vater Philip aus seinen Gedanken. Philip bemerkte den gehetzten Ausdruck in den Augen des Vaters und verwarf seine vorangegangenen Überlegungen. Natürlich durfte niemand wissen, dass es sich bei der Frau und dem Kind um Feen handelte.
Eilig brachte er die Tücher zum Wagen.
Da schlief sie wie ein Engel mit ihrem goldenen Haar. Jeder Atemzug ließ das Blatt, das sie als Anhänger um den Hals trug, auf den blauen Wogen ihres Kleides schaukeln. Der schmale Körper zeichnete sich deutlich unter dem fließenden Stoff ab. Sie war unsagbar schön. Philip konnte seine Augen kaum von ihr abwenden. Sein Herz pochte wild in der Brust. Mit hochrotem Kopf sah er auf das Kind, das sein Vater schon auf den Bauch dieses makellosen Wesens gelegt hatte. Als er das Kind zudeckte, streifte er den Körper der Elbin. Seine rauhen Finger kratzten an dem seidigen Kleid. Er spürte die Hitze ihres Körpers, die ihm knisternd von den Fingerspitzen direkt in den Bauch fuhr. Seine Ohren glühten vor Verlegenheit. Gleichzeitig wünschte er, sie noch einmal zu berühren. Wünschte, sie würde ihre Augen aufschlagen und ihn ansehen.
Plötzlich bemerkte er, dass ihn sein Vater schmunzelnd ansah. Er dachte, sein Herz müsste nun endgültig zerspringen, sein Kopf glühte wie das Schmiedefeuer, das normalerweise brannte.
»Sie ist sehr schön«, sagte sein Vater leise und verständnisvoll. »Ich hab mich kaum getraut, sie zu berühren. Aber jemand musste ihr helfen …« Er lächelte schmal. »An diesen Tag wirst du dich dein Leben lang erinnern.« Er schloss seinen Sohn in die Arme und drückte ihn einen Moment an sich. »Bald wirst du endgültig erwachsen sein. Dabei kommt es mir vor wie gestern, als du auf dem Arm deiner Mutter lagst und kaum mehr warst als dieses winzige Wesen. Mein Sohn!«
Die Beklemmungen an diesem Tag schienen nicht enden zu wollen. Sein Vater hatte ihn schon seit Jahren nicht mehr umarmt. Philip rang um Fassung, wandte sich ab und tat so, als würde er nach der größeren Plane Ausschau halten. Als er seinem Vater das gewachste Tuch in die Hand drückte, bemühte er sich, die Elbin nicht anzuschauen. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Feodor vorsichtig den Stoff über den Wagen legte, zärtlich. Ein Stich fuhr ihm in die Brust, und er fragte sich, wie Mutter nur damit einverstanden sein konnte, dass ihr Mann eine andere so … so … zärtlich behandelte?
Er öffnete das Tor der Schmiede. Draußen schien die Welt noch die alte zu sein. Sein Vater stand bereits mit dem Handwagen hinter ihm. Jetzt, im hellen Tageslicht, wirkte er müde und abgespannt.
»Bringen wir es hinter uns«, murmelte er und trat hinaus.
Der Handwagen sah nicht anders aus als sonst, wenn der Vater Werkzeug transportierte. Philip schloss das Tor und eilte ihm nach.
Sie sprachen kein Wort, als sie die Hauptstraße überquerten. Als sie in die schmale Gasse, die zum alten Turm hochführte, einbogen, atmeten sie erleichtert auf. Kein Mensch war zu sehen. Philip half dem Vater, den Wagen das steile Stück hochzuziehen. Nur ihre Schritte und das Knirschen der Räder waren zu hören.
»Wo sind eigentlich Jacob, Johann und Josua?«, fragte der Vater plötzlich.
Philip, dessen Gedanken nur um den Inhalt des Wagens kreisten, fuhr erschrocken zusammen.
»Junge, Junge«, lachte Feodor und schüttelte den Kopf. »Du bist aber schreckhaft heute …«
Philip grinste verlegen zurück.
»Josua ist im Turm, Jacob und Johann plündern gerade den Kirschbaum.«
»Sag bloß, die kommen auf den Baum rauf!«
»Doch. Sehr zum Leidwesen ihrer Altersgenossen.«
»Wann warst du zum ersten Mal auf dem Baum?«
Philip zögerte. Wollte sein Vater jetzt wirklich über derlei unwichtige Dinge sprechen?
»Vor etwa zwei Jahren«, antwortete er. »Als ich groß genug war und hoch
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