Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
den ganzen Tag über dem Land hingen. Wahrscheinlich würde es bald zu regnen anfangen.
Die letzten Häuser hatte er bald hinter sich gelassen. Düster hing der Himmel über dem Wald. Es wurde noch drückender, als es schon den ganzen Tag über gewesen war. Philip straffte seine Schultern und schritt entschlossen aus. Er hatte noch keine drei Schritte getan, da schrie er plötzlich vor Schmerz auf und hüpfte auf einem Bein weiter, ehe er sich ins Graß fallen ließ und seine Fußsohle betrachtete. Ein dicker Dorn steckte mittendrin. Philip biss sich auf die Lippen und zog ihn mit einem Ruck heraus. Leise pfeifend sah er dem Blutfaden nach, der langsam aus der Wunde floss und vom Rand der Ferse zu Boden tropfte.
Der verletzte Retter, dachte er grimmig und zog seine Schuhe aus der Tasche. Als er in den ersten Schuh hineinfuhr, spürte er den stechenden Schmerz, den seine aufgeriebene Ferse verursachte. Er wartete, bis kein Blut mehr aus der Wunde tropfte, dann zog er auch den zweiten Schuh an.
Ich kann noch nicht mal humpeln, dachte er grimmig. Die Helden aus seinen Geschichten mussten sich nie mit so lächerlichen Kleinigkeiten herumärgern. Selbst schlimmste Verletzungen banden sie einfach mit einem Streifen Stoff ab und machten dann weiter, als sei nichts geschehen.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht trat er vorsichtig auf. Nach einigen Schritten suchte er sich ein großes Blatt, um es auf seine geschundene Ferse zu legen. Danach ging es ihm ein wenig besser, und der pochende Schmerz, den der Dorn verursacht hatte, ließ nach einer Weile nach.
Wenig später löste sich die gleichförmige Linie des Waldes auf und verwandelte sich in ein Heer von Bäumen, die sich mit jedem Schritt, den er näher kam, mehr voneinander unterschieden. Bald darauf sah er Theophil, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, das Gesicht der Abendsonne zugewandt. Er rauchte. Philips Herz schlug schneller. Er beschleunigte seine Schritte. Die erste Etappe der Reise lag hinter ihm. Jetzt würden sie endlich die Stadt im Wald finden.
Die Wolken, die drohend am Himmel hingen, und die langen Schatten der Bäume verwandelten den Wald in einen dunklen, geheimnisvollen Ort, doch dort, wo die letzten Lichtstrahlen den Waldboden berührten, brachten sie ihn zum Glühen. Der Pfad, auf dem sie liefen, leuchtete golden. Diesen Anblick würde Philip niemals vergessen.
9. Im Alten Wald
P hilip erwachte. Er versuchte sich zurechtzufinden, aber die Nacht war so schwarz, dass er die Hand vor Augen nicht erkennen konnte. Wo war er? Er spürte den rauhen Waldboden unter seinen Fingern, und es fiel ihm wieder ein.
Kein Laut war zu hören. Kein Lüftchen bewegte sich. Die Welt schien den Atem anzuhalten. Alles war erstarrt.
Ein leises Grauen erfasste Philip, und er setzte sich auf. Zumindest seine Beine vermochten noch Geräusche auf der Decke zu verursachen.
Nichts wünschte sich Philip mehr als einen kleinen Lichtschimmer, der ihm sagte, dass nicht alle Farbe und alles Licht aus der Welt verschwunden waren.
Da zerriss ein langer Blitz den Himmel mit seinem bleichen Zackenstrahl und hauchte Bäumen und Sträuchern ein gespenstisches Leben ein. Philip war so geblendet, dass er die Augen schließen musste. Nach diesem kurzen Augenblick gleißender Helligkeit kam ihm die Schwärze sogar noch schlimmer vor als zuvor. Der Donner, der dem Blitz folgte, erschütterte den Waldboden.
»Donnerwetter«, murmelte Theophil schlaftrunken. Philip rollte sich in seine Decke ein und versuchte weiterzuschlafen. Als er jedoch die Augen schloss, hörte er ein wisperndes Geräusch, das ihn sofort erschrocken den Kopf heben ließ. Er lauschte. Da war etwas, aber bestimmen konnte er es nicht. Es streifte nur sacht seine Wahrnehmung. Waren das die Geister des Waldes, oder sprachen die Bäume gar miteinander? Wie in den Geschichten, die er kannte.
Er setzte sich auf. Seine Ohren horchten aufmerksam, doch jetzt hörte er nichts mehr, nur Totenstille. Es blitzte. Der Donner folgte unmittelbar, dann rauschte es heftig in den Bäumen. Die himmlischen Schleusen hatten sich geöffnet, und der Regen ergoss sich auf die Erde. Schnell suchte Philip Schutz an dem wuchtigen Stamm eines Baumes, doch das Blätterdach hielt nicht lange stand. Er wickelte sich ganz in seine Decke und hörte dem feuchten Prasseln zu.
Der Wind peitschte durch die Äste und ließ sie bedrohlich pfeifen. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Philip kauerte sich noch näher an den Baumstamm, denn dort schien es ihm
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