Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
soll ihr bei was helfen«, antwortete Philip ausweichend.
»Das war Mutters Idee«, flüsterte Johann. »Wenn Philip nicht zur Schule muss, dann schleicht er den ganzen Tag oben vor Janas Zimmer herum … Aua!«
Philip hatte ihm einen Tritt unter dem Tisch verpasst.
»Philip ist verliebt«, trällerte Johann und rieb sich sein Schienbein.
»Du bist so ein bescheuerter Hornochse«, zischte Philip, dann bemerkte er seine Mutter auf der Treppe und versuchte schleunigst das Thema zu wechseln.
Wenig später machte sich Philip auf den Weg. Den Wanderstab hielt er in der Rechten. Bei jeder Bewegung hörte er das Rauschen des Kettenhemdes und spürte seine leichte, angenehme Kühle in der schwülen Hitze des Nachmittags.
Jacob, Johann und Josua hatten, sehnsüchtig nach einem kleinen Abenteuer, gehofft, Philip bis zum nördlichen Stadttor begleiten zu dürfen. Doch die Mutter hatte es ihnen nicht erlaubt. Sie hielt es für besser, wenn Philip ohne größeres Aufsehen die Stadt verließ.
Am Nordtor mäßigte er sein Tempo. Dieses Tor, auch Königstor genannt, war das beeindruckendste Tor der Stadt. Es war breiter und höher als die anderen beiden Tore, und die Türme links und rechts waren feiner und kunstvoller gearbeitet. An ihren Mauern waren Bilder aus Stein, die Jagd- und Kampfszenen zeigten, und oben über dem Tor prangte das Wappen – eine goldene Krone auf der Spitze eines Berges.
Er tauchte ein in den Schatten des Tores, lauschte seinen hallenden Schritten im Durchgang und richtete seinen Blick auf die Straße, die in einem leichten Bogen aus der Stadt hinausführte. Als er dann die Mauer im Rücken hatte und vor ihm der gewaltige Falkenberg nahezu senkrecht aus dem Boden wuchs, befiel ihn das beklemmende Gefühl, gefangen zu sein. Das Bild, das sich ihm bot, hatte durchaus Ähnlichkeit mit dem Wappen, aber der kahle Berg und die grauen Mauern wirkten einschüchternd und bedrückend. Er folgte der Straße ein Stück bergan. Kurz bevor sie sich schmal und steil zur Burg hochschlängelte, bog er links ab, um die Handelsstraße nach Mendebrun zu erreichen.
Es standen nur vereinzelt Bäume am Straßenrand, doch nach und nach verwandelte die Straße sich in eine Allee. Auch wenn die Sonne hinter Wolken versteckt und nur manchmal bleich wie ein Totentuch leuchtete, war es drückend heiß. In der Ferne flimmerte die Luft. Nach etwa einer halben Stunde Marsch machte die Straße einen Bogen nach Norden. Die Falkenburg erhob sich jetzt zu seiner Rechten. Aus dieser Entfernung sah sie einfach nur majestätisch aus, wie sie da auf dem blanken Felsen hoch über der Landschaft thronte. An manchen Stellen konnte man Wasserfälle, kaum dicker als ein Faden, ins Tal fallen sehen. Sie glänzten golden im trüben Licht des Nachmittags. Philip erinnerte sich, in Theophils Studierstube einmal in einem sehr alten Buch, von dessen brüchigen Seiten die Tinte flockig blätterte (dieses Buch wollte der Lehrer nicht aus der Hand geben), über den Falkenberg gelesen zu haben. Fels der hundert Fälle wurde er dort genannt und war ein Ort, der von der heidnischen Urbevölkerung verehrt und gefürchtet war. Damals glaubten die Menschen, dieser Berg sei die Heimstätte von Gottheiten, die über die Geburt, den Verlauf des Lebens und den Tod bestimmten.
Philip fragte sich, wie der Felsen wohl ausgesehen haben mochte, bevor die Burg darauf gebaut worden war.
Die Straße führte in einem großen Bogen um den Berg herum und näherte sich scheu dem Wald, ohne jedoch zu nahe an ihn heranzuführen. Von hinten hatte Philip die Burg nur ein- oder zweimal gesehen, und nun drehte er sich immer wieder um, um einen Blick auf sie zu werfen. Die Sonne hatte eine Lücke zwischen den dunklen Wolken gefunden und beleuchtete sie von Westen. Stolz zeichneten sich ihre Türme vor der schwarzen Wolkenfront, die sich von Südosten näherte, ab.
Philip schätzte, dass er in etwa einer Stunde Wegscheid erreichen würde. Dort trennten sich die Wege. Einer verlief in ehrfürchtigem Abstand am Waldrand und führte über Mendebrun zu den Quellenbergen. Der andere über Markt Krontal nach Westen, und der Dritte verlief über Helmsleve nach Engslach am Engelsee.
Philip war noch nie weiter nördlich als Mendebrun gekommen. Und auch in keine andere Richtung war er jemals gereist. Er kannte nur einige der umliegenden Dörfer von Waldoria. Die ihm geläufigste Art zu reisen war in seiner Phantasie oder in seinen Büchern gewesen. Die Helden seiner Bücher waren aber
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