Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
Ihr Euch noch an das Buch, das Ihr mir vor Jahren geliehen hattet? Der Waldläufer erzählte auch, dass die Bäume zu ihm sprachen und ihm seinen weiteren Weg wiesen …« Worte sprudelten aus Philip wie aus einer Quelle, aber Theophil unterbrach ihn.
»Das waren Geschichten, Philip. Keine Tatsachen. Menschen denken sich andauernd Geschichten aus, in denen so gut wie gar nichts der Wahrheit entspricht.«
»Ihr glaubt mir nicht«, stellte Philip fest. »Aber es ist die Wahrheit! Die Bäume hier sprechen, und habt Ihr nicht selbst noch zu ihnen gesprochen und gesagt, dass man ihre Erlaubnis braucht, wenn man längere Zeit im Wald verbringen will? Wenn sie uns die Wege verweigern, die Quellen verstecken und das Brennholz versagen können, warum sollten sie dann nicht auch auf irgendeine Art mit uns sprechen können?« Atemlos und aufgebracht schaute Philip seinem Lehrer in die Augen.
»Natürlich gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, die ich nicht kenne, als solche, die ich kenne. Auf dieser Reise sind wir Gefährten, und wir müssen uns vertrauen. Ich tat es nicht, bitte entschuldige.« Theophils Stimme war ernst und leise. Philip schämte sich, weil er seinen Lehrer so weit gebracht hatte, dass dieser sich bei ihm entschuldigte, aber er freute sich auch, denn jetzt endlich verspürte er, dass sie gleichberechtigte Partner waren. Gut gelaunt und spontan streckte er Theophil seine Hand entgegen.
»Auf das Vertrauen«, sagte er feierlich, und Theophil schlug ein. Sie sahen sich an, schnappten ihre Rucksäcke und marschierten weiter in den Wald hinein.
Philip dachte an das seltsame Geräusch, das der Wald gemacht hatte, und fragte sich, wie er es bereits in der vergangenen Nacht hatte hören können, wenn sie, wie Theophil glaubte, zu dem Zeitpunkt den Alten Wald noch gar nicht betreten hatten. Als er dem Lehrer gegenüber seinen Verdacht erwähnte, dass der Alte Wald möglicherweise doch schon weiter vorne anfing, sagte dieser:
»Der Gedanke, muss ich zugeben, kam mir auch schon das eine oder andere Mal, wenn ich stundenlang unterwegs war, um in den Wald zu kommen. Die Büsche und Dornen, die Wurzeln und Äste versuchen Menschen daran zu hindern, den direkten Weg einzuschlagen. Aber sobald man anfängt, sich einfachere Wege zu suchen, wird man abgedrängt. Trotzdem glaube ich nicht, dass all das Gestrüpp schon zum Alten Wald gehört. Es ist gewissermaßen die Stadtmauer. Doch wer am Tor rüttelt, hat die Stadt noch nicht betreten.« Er schwieg.
Lange wanderten sie zwischen den säulenartigen Stämmen entlang. Je länger Philip über das Gespräch mit den Bäumen nachdachte, umso mehr Fragen quälten ihn. Wieso sprachen die Bäume zu ihm, aber nicht zu Theophil? Ob es etwas mit dem elbischen Kettenhemd zu tun hatte, das er trug? Nie hatte er geahnt, dass seine Eltern derartige Geheimnisse bewahrten, und er ärgerte sich, weil sie ihn selbst im Augenblick seines Aufbruchs nicht eingeweiht hatten.
»Wann werden wir die Stadt erreichen?«, fragte er und versuchte seine Stimme so beiläufig wie nur möglich klingen zu lassen.
»Ich denke, dass wir es schaffen könnten, die Landmarke des Sonnentors zur rechten Zeit zu erreichen.«
»Eine Linde müssen wir suchen«, sagte Philip eifrig. »Glaubt Ihr, wir werden sie sofort finden?«
»Nein, das glaube ich nicht. Es ist zwar bestimmt schon zehn Jahre her, seit ich es zum letzten Mal versucht habe, aber ich erinnere mich, dass an der besagten Stelle mindestens zwanzig Linden stehen.« Theophil seufzte.
»Es ist aber äußerst wichtig, dass wir ein Tor öffnen. Jar’jana schwebt in Lebensgefahr, und ihre Anwesenheit bringt die gesamte Familie in Schwierigkeiten.«
»Wir werden unser Möglichstes tun«, beschwichtigte ihn Theophil. »Und mach dir keine Sorgen um deine Eltern. Sie sind stark und einfallsreich, und so wie ich deine Mutter kenne, hat sie bestimmt schon einen Reserveplan zur Hand, falls wir beide keinen Erfolg haben sollten.«
Philip nickte. Seine Mutter hatte ihm zum Abschied etwas in dieser Art ins Ohr geflüstert. Trotzdem wusste er, dass eine erfolglose Rückkehr für ihn einer Niederlage gleichkam und somit ausgeschlossen war.
Dass er jetzt hinter seinem Lehrer hertrottete, ohne eine Ahnung zu haben, wie der Weg weiterging, ärgerte ihn. Er hatte alle Rituale auswendig gelernt. Er hatte sich mit Bäumen beschäftigt, damit er auch wirklich in der Lage war, eine Buche von einer Esche, eine Linde von einer Eiche und eine Tanne von einer
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