Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
seinem Willen gefügt, und er hat einen zuverlässigen und weisen Gefährten …«
»Er h a t t e einen Gefährten, und sein Wille …? Er ist doch noch ein halbes Kind, und er ist berauscht von dem Gedanken, ihr«, sie deutete die Treppe hinauf, »Held zu sein.«
»Philip ist ein vernünftiger und gewissenhafter Mensch und so gut wie erwachsen. Du weißt, dass er nicht unüberlegt handelt. Er wird das Richtige tun.« Feodor setzte sich und barg sein Gesicht in den Händen. »Weiß Gott, auch ich hätte mir gewünscht, er wäre nicht so ins Leben hinausgezogen.«
»Ich habe es geahnt, ich hätte es verhindern müssen. Schon dieses eigentümliche Leuchten in seinen Augen, als er mich bei Elvira abgeholt hat. Dabei ist sie verheiratet oder wie auch immer ein Treueversprechen bei den Elben heißt, und sie hat ein Kind. Sie ist über hundert Jahre alt, und er ist erst …«, haderte Phine weiter.
Feodor sah sie von der Seite an und lachte unvermittelt. »Du wirst mal eine grauenvolle Schwiegermutter. Es wird nie eine geben, die gut genug für deine Söhne sein kann.«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der ihn noch mehr zum Lachen brachte.
»Ich will ihnen nur unnötige Enttäuschungen ersparen. Du siehst selbst, zu was so etwas führt …«, wieder schluchzte sie leise.
Feodor legte den Arm um ihre Schulter und streichelte sie zärtlich.
»Es war von jeher sein Schicksal, nach den Elben zu suchen. Sie ist nur der Auslöser«, flüsterte er. »Solange er am Leben ist, will ich zufrieden sein.«
Aber er war es nicht. Er wollte auch, dass es Philip gutging und dass er glücklich war.
In dieser Nacht starb Jar’jana. Das hohe Fieber hatte sie sehr geschwächt . Obwohl Josephine ihr gesamtes Können einbrachte, konnte sie nichts mehr für sie tun. Jar’jana hatte sich längst aufgegeben. Am späten Abend hatte die Elbin noch einmal nach Lume’tai verlangt und sie an ihre feuchte, heiße Brust gedrückt. Sie hatte zu ihr gesprochen und sogar ein Lied für sie gesummt, bis Lume’tai in ihren Armen eingeschlafen war. Zum letzten Mal.
Kurz nach Mitternacht tat Jar’jana noch einen tiefen Atemzug. Ihr Gesicht entspannte sich. Bleich, wunderschön und reglos lag sie in den feuchten Kissen, das weinende Kind im Arm.
Phine weckte Feodor, und sie standen beide, gleichermaßen gebannt wie fassungslos, an Jar’janas Lager. Dann schickte Phine Feodor mit Lume’tai zurück ins Bett und wusch und kleidete Jar’jana. Sie kämmte ihr die Haare und ordnete sie in Zöpfen um ihren Kopf. Dabei sprach sie die ganze Zeit über mit ihr.
Als sie Stunden später in ihr Bett sank, hatte sie alles vorbereitet, was für die Beerdigung einer Verwandten vonnöten war.
***
Die Nacht streckte ihre schattenhaften Hände nach Philip aus und ließ ihn so oft die Richtung wechseln, dass er bald nicht mehr sagen konnte, ob er sich noch auf dem richtigen Weg befand. Geisterhafte Stimmen folgten ihm aus dem Dunkel. Manche von ihnen kannte er, denn sie waren ihm seit seiner frühesten Kindheit vertraut und lieb, andere hingegen beängstigten ihn, denn sie kamen von überallher und drangen auf ihn ein. Immer öfter drehte er sich erschrocken um, denn er vermutete, dass ihm seine Verfolger dicht auf den Fersen waren. Er stolperte über Wurzeln und Äste und erschrak bei jedem Knacken oder Rascheln. Verloren und allein irrte er ziellos in der Finsternis umher. Der Trost, den ihm die Eiche gespendete hatte, verflüchtigte sich immer mehr. Kummer und Schmerz überwältigten ihn. Wie ein Geschwür wuchs die Trauer in seinem Herzen und raubte ihm die Luft zum Atmen, so dass er immer wieder stehen bleiben musste. Nur mühsam hielt er sich auf den Beinen. Diese Nacht dauerte bereits eine Ewigkeit, und Philip glaubte nicht mehr daran, dass es irgendwann wieder Tag werden könnte. Die Sonne war ebenso sehr eine blasse Erinnerung wie alles andere, was sein Leben früher warm und angenehm gemacht hatte. Wie lange musste er laufen, bis er zu dem Bach kam? Er wusste es nicht mehr. Theophils fahles, blutverschmiertes Gesicht wechselte sich vor seinem inneren Auge mit der bleichen Schönheit Jar’janas ab. Verloren, vergessen, verbannt. Alleine, alleine, alleine.
Der Schmerz in seinem Bein war sein einziger Begleiter und bildete eine Art Gegengewicht zu dem Schmerz in seiner Brust. Er erinnerte ihn daran, dass er noch lebte und nicht eins war mit den geisterhaften Stimmen, die ihn umgaben. Als er sich erneut umdrehte, sah er im Wald Fackeln
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