Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
tanzen. Das Licht zog ihn an wie eine Motte, und er machte einige torkelnde Schritte darauf zu. Dann fiel ihm ein, dass es seine Feinde waren, und er rannte in wilder Panik von ihnen weg. Er stolperte, er fiel. Seine Hände und seine Knie brannten, sein verletztes Bein war schwer wie Blei, und er zog es hinter sich her, als ob es nicht seines wäre. Äste peitschten ihm ins Gesicht. Beim nächsten Schritt trat er plötzlich ins Leere, stürzte und kullerte eine Böschung hinab. Kaltes Wasser und spitze Steine empfingen ihn. Der Bach. Er hatte den Bach gefunden. Spritzend rappelte er sich auf und taumelte im Wasser weiter, als er hoch über seinem Kopf eine Fackel aufblitzen sah. Seine Glieder erstarrten zu Eis, und er kauerte sich in das dichte Gestrüpp am Ufer, während immer mehr Fackeln über dem Rand auftauchten. Die Schwestern von Eglte wollten ihm Schutz bieten, dachte er. Aber wie sollte er jetzt in dieser alles verschlingenden Finsternis eine Eiche finden? Würde sie ihm wirklich Schutz gewähren? Unwirklich kam ihm sein Gespräch mit dem Baum vor. Hatte er es wirklich geführt, oder war es nur ein Gespinst seiner Phantasien und seiner Einsamkeit. Wie ein gejagtes Tier beobachtete er jede Bewegung der Fackeln. Er war nass und fror erbärmlich, doch seine zitternde Hand krampfte sich zu allem entschlossen um Theophils Messer.
»Ich weiß, dass du da bist«, schnarrte eine kalte, schneidende Stimme direkt neben seinem Ohr. Er quiekte erschrocken, hielt sich aber sofort den Mund zu.
»Ich weiß, dass du da bist«, zischte die Stimme wieder. Aber diesmal rührte sich Philip nicht. Er war alleine hier, niemand – wirklich niemand – wusste, wo er war, er würde sich nicht verraten. Die Stimme sprach in seinem Kopf.
»Komm raus, dann wird dir nichts geschehen.«
Alles in ihm schrie. Lügen, nichts als Lügen. Er umklammerte das Messer so fest, dass er das Gefühl hatte, es würde eins werden mit seiner Hand. Er merkte nicht mehr, dass er fror, er spürte auch den Schmerz in seinem Bein nicht mehr. Er hatte sich so weit in sich selbst zurückgezogen, dass es nichts mehr gab als einen Funken Philip. Die Stimme in seinem Kopf sprach weiter, aber er hörte nur den eisigen Klang und den mühsam unterdrückten Zorn und nicht die lockenden Worte.
»Ich weiß, dass du noch da bist!«, kreischte es plötzlich so laut, dass Philip unwillkürlich das Messer fallen ließ und mit beiden Händen seinen Kopf umklammerte. »Ich werde dich finden und vernichten. Ich werde euch alle vernichten.« Philip vergrub den Kopf zwischen seinen Knien. »Es gibt keinen Ort, an dem du dich verstecken kannst.«
Regungslos blieb er liegen. Angst lähmte seine Glieder.
Als er sich endlich traute, seinen Kopf ein wenig anzuheben, starrte er in undurchdringliche Finsternis. Vorsichtig schob er sich noch ein wenig weiter nach oben, aber er konnte immer noch nichts sehen. Tastend suchte er das Messer und steckte es zurück an seinen Gürtel. Er wagte es nicht, sich aufzurichten, deshalb kroch er auf allen vieren in das eisige Wasser, um die Strömung zu spüren, die ihm die Richtung weisen würde.
Er zitterte unaufhörlich, denn das kniehohe Gestrüpp am Ufer zwang ihn dazu, seinen Weg im Wasser fortzusetzen. Immer wieder blieb er stehen und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Er war allein. Allein mit seinem Schmerz und seiner Trauer. Allein mit seiner Angst.
Doch irgendeine Kraft, die er an sich nicht kannte, ließ ihn weitergehen, ließ ihn sein schmerzendes Bein vergessen, schaltete alle Zweifel aus. Er musste weiter, denn hinter ihm lauerte der Tod. Über das, was vor ihm lag, dachte er nicht nach. Er lief und lief und lief, und nach und nach hatte er den Eindruck, dass sich irgendetwas veränderte. Die Vögel fingen an zu singen. Er konnte den Himmel sehen.
Einzelne Stämme zeichneten sich ab. Es war nicht nur der langsam anbrechende Tag, sondern auch das Ende des Waldes, der wieder Formen in das düstere Schwarz zeichnete. Ganz unvermutet öffnete sich die Landschaft. Obwohl es noch viel zu dunkel war, um irgendetwas zu erkennen, fühlte Philip sich der Weite schutzlos ausgeliefert. Er kauerte sich in das Gestrüpp am Ufer und starrte besorgt in den grauen Himmel.
Was sollte er jetzt tun? Sich einen weiteren Tag im Wald verstecken? Hunger und Schmerzen rieten ihm davon ab. Oder sollte er versuchen, so schnell wie möglich das Haus von Theophils Verwandten zu erreichen? Die bald heraufziehende Sonne würde ihn für alle
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