Neobooks - Transalp 12
denken«, meinte Signor Alfatti. »Kann das alles sein? Nun, wir sind, wie Sie sehen, keine Massenbank. Wir haben nicht viele Kunden, aber die wenigen sind treu. Dieser Raum stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert. Eine venezianische Patrizierfamilie hält ihr Schließfach schon seit gut vierhundert Jahren. Es bleibt in der Familie. Dafür bieten wir einen Service und eine Sicherheit wie sonst niemand auf der Welt. Wir sind der sicherste Ort auf Erden. Unsere Kunden schätzen die Beständigkeit.« Damit drehte er den Schlüssel zu Schließfach Nr. 7 um. »Ich lasse Sie nun allein. Sobald Sie fertig sind, möchten Sie bitte hier klingeln.«
Spindler konnte es gar nicht glauben. Die älteste Bank der Welt bestand aus ganzen zwölf Schließfächern. Was in den Fächern lagern mochte? Marco Polos Pretiosen aus China, Casanovas galante Memoiren, Opern von Vivaldi, ein paar verschollene Canalettos? Und, ja, auch Hitlers Ergüsse? In höchster Erregung hob er die Kassette aus dem Fach. Unwillkürlich wollte er daran rütteln, um zu hören, was drin war.
Nein, mach nichts kaputt!
Als er den Deckel der Kassette anhob, sah er, dass er nichts kaputt machen konnte. In der Kassette lag ein Leinensäckchen. Darin Brillanten, sonst nichts.
Das nützt dir jetzt gar nichts. Was willst du noch mit Geld?
Unter allen Dingen auf der Welt war das nun das Letzte, was er brauchen konnte. Oder doch? Und wo war das Vermächtnis? Hatte Christina Gerdens gleich zwei Schließfächer bezahlt mit einer Handvoll Brillanten? Dann musste es noch ein zweites Codewort geben. Eines mit sechs Buchstaben? Noch waren ja die sechs Striche am Ende der Nibelungen nicht gelöst. Das Säckchen mit den Brillanten steckte er ein. Wer konnte schon wissen, wozu es noch gut sein konnte. Er klingelte. Wortlos verließ er die Bank.
Draußen fand er Gärtner wenige Schritte vom Tor zur Bank. Sie hatte sich in einem Hauseingang versteckt.
»Und?«, fragte sie, froh, dass er wieder auf diesem Wege herauskam. Sie hätte ihm ja fast alles zugetraut.
»Wo ist Plank?«, wollte Spindler wissen.
Der wartete auf der anderen Seite des Gebäudes, aber das verriet Gärtner nicht gleich. Sie wusste nicht, ob sie Spindler vertrauen sollte. Zwei Sekunden später wusste sie, dass sie es konnte – denn da hatte sie einen Beutel mit Brillanten in der Hand.
»Ist für dich, Schatz. Sind Hitlers Brillanten. Kauf dir was Schönes.«
Gärtner wollte schon »Idiot!« erwidern, öffnete dann aber den Beutel und war überwältigt, wie die Brillanten sogar im fahlen Laternenschein funkelten.
»Was ich wirklich wollte, das habe ich nicht. Das musst du holen oder Plank. Also, wo ist Meister Anselm, wir müssen einen Plan machen. Und wir müssen noch ein Rätsel lösen.«
Bei diesem Gedanken wurde Gärtner leicht schummrig vor den Augen. Noch ein Rätsel. Sie ging mit Spindler ums Gebäude herum. »Anselm, ich bringe dir Hitlers Brillanten.«
»Soll ich jetzt salutieren?«, fragte Plank einigermaßen überrascht.
Spindler erklärte den beiden in kurzen Worten, was es mit Brillanten und Vermächtnis auf sich hatte und dass sie noch ein letztes Codewort bräuchten. »Ich glaube, der Schlüssel zu den Codewörtern ist der Eintrag auf der letzten Textseite in den Nibelungen.« Spindler zog das Buch aus seiner Tasche und schlug es ganz hinten auf.
Plank fasste nach dem Buch, um es im Licht der Laterne besser betrachten zu können. Das waren also die berühmten Nibelungen. Es war jedoch keine Zeit, etwas Bedeutsames zu sagen. »Kaminsims«, las er laut vor. »Kaminsims – ist das alles?«
»Ja, fast. Darüber fünf und darunter sechs waagerechte Striche. Wenn die ersten fünf Striche für ›Hagen‹ stehen, dann müsste sich ein weiteres Codewort mit sechs Buchstaben ergeben. Doch wo sollen wir suchen? Vielleicht enthält der Kaminsims eine Botschaft. Nur wo dieser Kaminsims sein soll und ob es ihn überhaupt noch gibt – keine Ahnung. In Wagners Villa in Venedig gibt es jedenfalls keinen Kaminsims mit einer Botschaft, das habe ich heute Mittag überprüft. Und wenn der Kaminsims irgendwo in Berlin oder Berchtesgaden ist, wofür ja einiges spricht, dann hilft es uns jetzt auch nichts mehr. Müssen wir uns so kurz vorm Klo noch in die Hose machen?«
»Moment mal«, rief Plank, »Moment. Lasst mich überlegen. Kaminsims, Kaminsims … Genau, das ist es. Wir brauchen schnell ein Handy. Hat jemand eines?«
Keiner hatte eines.
Bar Lineadombra, 0.44 Uhr
Die Bar Lineadombra am
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