Neonazis in Nadelstreifen
dass über ihn geredet wird. Die Blicke verunsichern ihn nicht, er ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu sein. So sitzt der NPD -Fraktionschef in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, dann auch sehr aufrecht auf der Bank, lächelnd und aufmerksam schauend. Zu der »Andacht gegen Gewalt und Rechtsextremismus« ist Udo Pastörs mit mehreren Parteifreunden gekommen. An diesem Mittwoch wollen sie den Verlauf des Abends bestimmen. Zu Beginn der Andacht betont Pastor Dino Steinbrink in dem Gotteshaus: »Wir befinden uns in einer Kirche! Es herrscht Friedenspflicht.« Vor rund 300 Besuchern mahnt der Geistliche: »Rassistische und antisemitische Äußerungen werden nicht geduldet.« Eine Warnung, deren Berechtigung der Verlauf des Abends bestätigen wird.
Während die Orgel erklingt, schaut man sich noch immer um. Tuschelt weiter: »Gehört der nicht auch dazu? Weiß nicht, der sieht normal aus.« Als geschlossene Gruppe fallen die Neonazis bei diesem Gottesdienst mit anschließender Diskussion nicht auf. Einzeln sind sie zu der dreischiffigen Kirche am Marktplatz gekommen. Bewusst haben sie sich beim Eintreten nicht begrüßt, haben sich im Kirchenschiff verstreut zwischen anderen Besuchern platziert. Gleich links und rechts von Udo Pastörs sitzen zwar seine Ehefrau und der Bodyguard, direkt bei einem Zwischengang in der Kirchenmitte. Weiter vorn hat sich jedoch der Ludwigsluster NPD -Kreisvorsitzende Andreas Theißen mit Kameraden niedergelassen. Hinten suchen sich weitere Neonazis unauffällig eine Sitzgelegenheit.
Nicht sein Auftreten verriet Udo Pastörs. Im schlichten Mantel hatte der ehemalige Juwelier die Kirche in der Altstadt von Boizenburg betreten. Hier in der Region kennen aber die Bürger den NPD -Fraktionschef nicht bloß vom Fernsehen. Einigen dürfte er während der Landtagswahl 2006 auf der Straße begegnet sein, manchen hat er Flyer gegen Schulschließungen im ländlichen Raum in die Hand gedrückt oder Infoblätter, die sich gegen die Hartz- IV -Politik der Bundesregierung richten. »Vor Ort bürgernah«, lautet seit langem die Devise von Udo Pastörs, der im nahen Lübtheen-Briest wohnt. Er ist ein Rechter, der sich nicht nur zu Wahlkampfzeiten ins Gemeindeleben einbringt.
Geduldig lassen die Neonazis die christliche Andacht verstreichen. Kein abfälliges Räuspern oder gar lautes Stöhnen ist zu hören. Diskussionsfähig zu erscheinen ist heute ihre Aufgabe. Die Andacht bewegt sie allerdings nicht. Beim Psalm 85 : »Herr, der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und alle seine Sünden bedeckt hast, hilf uns«, schweigt Pastörs. Zum Gebet steht er nicht auf. Nur sein Bodyguard erhebt sich. Verlegen schaut er wegen des Fauxpas auf seinen Chef herunter.
Draußen vor den Türen frieren andere Gäste. Sie kommen aus der Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende im nahen Ort Horst. Auf dem Marktplatz stehen sie zwischen den einstöckigen Fachwerkhäusern. Der kalte Wind weht über den ungeschützten Platz nahe dem Rathaus. Wegen der NPD wissen sie nicht, ob sie in die Kirche gehen sollen. Sie sind verunsichert. Doch um ins Gespräch zu kommen, hatte die evangelische Kirche und die Gruppe »Courage Boizenburg« sie zu dem Abend extra eingeladen. Ein Angriff auf einen der Flüchtlinge aus der Aufnahmestelle hatte erst den Anlass für die Veranstaltung gegeben. »Eine traurige Geschichte«, sagt Dino Steinbrink drinnen in der Kirche. »Im Schatten unserer Kerzen herrscht die Dunkelheit von Gewalt und Hass.«
Gut drei Wochen zuvor war der kurdische Asylbewerber C. am Bahnhof der Kleinstadt, mit ihren rund 10 700 Einwohnern an der Elbe gelegen, angegriffen worden. Am Abend des 25 .Novembers 2007 wartete C. auf ein Taxi, um zurück zur abgelegenen Aufnahmestelle zu kommen. Ein Bus fuhr an diesem Sonntag nicht, erklärte der Hamburger Flüchtlingsrat, der den Angriff später öffentlich machte. »Bist du Ausländer?«, habe ihn zunächst die Frau vom Kiosk gefragt, berichtete das 32 -jährige Opfer. Eine Gruppe Männer fragte noch mal nach. Als C. ja sagte, griffen sie ihn an. In den Kiosk konnte er sich nicht retten– auch nicht, als bis zu 20 Angreifer auf ihn einschlugen und eintraten. Mit letzter Kraft gelang ihm die Flucht. Über mehrere Tage musste er im Krankenhaus behandelt werden. In Boizenburg war es nicht der erste Übergriff, wie der Kirchenabend offenbart.
»Zu lange haben wir weggesehen«, gesteht eine Frau in der Kirche. Bürgermeister Harald Jäschke (parteilos) berichtet später:
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