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Neonazis in Nadelstreifen

Neonazis in Nadelstreifen

Titel: Neonazis in Nadelstreifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Andrea und Speit Roepke
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»Im Vorjahr wurde ein griechischer Gastwirt zusammengeschlagen. Daraufhin gab er sein Restaurant auf.« Ein Mann erzählt von Pöbeleien gegen Asylsuchende beim Einkaufen.
    Zu viel Betroffenheit für die NPD -Kader. Höflich warten sie, bis man ihnen das Mikrofon hinhält, erst dann versucht der Erste den Vorfall zu verharmlosen. »Die polizeilichen Ermittlungen sind nicht abgeschlossen«, sagt Udo Pastörs ruhig. »Vorsicht vor zu schnellen Urteilen«, mahnt der NPD -Fraktionschef abgebrüht lächelnd. An diesem Punkt versuchen die NPD ler die Diskussion in andere Bahnen zu lenken. Der Kreisvorsitzende Andreas Theißen spricht jetzt von der »Ausländergewalt in Boizenburg«. Seinen Namen nennt der rothaarige Mann aus Lübtheen, aber anders als Udo Pastörs verschweigt er seinen Parteihintergrund. Frech fragt Theißen in Richtung des Opfers, warum überhaupt jetzt schon von einem rassistischen Tathintergrund ausgegangen werde. »Weil die Täter erst zuschlugen, als unser Freund zugab, Ausländer zu sein«, erwidert ein Bekannter des Opfers, perplex angesichts der Dreistigkeit dieser Frage. Die Gruppe aus der Zentralen Aufnahmestelle hat sich trotz der Anwesenheit der NPD -Funktionäre entschieden, die Veranstaltung zu besuchen. Nicht bloß C., der unter ihnen ist, entsetzt die perfide Argumentation der Rechten.
    Der Auftritt der ideologischen Brandstifter ist selbstbewusst. Andreas Theißen wiederholt seine Provokation: »Allein, weil das Opfer fremder Herkunft ist, gibt es Andachten, Kerzen, derweil es in Boizenburg fast wöchentlich zu Gewalttaten von Ausländern kommt.« Gewalt sei immer schlimm, betont Theißen scheinheilig, der selbst wegen Sprengstoffbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.
    Wie mögen sich die pauschal als »ausländische Straftäter« denunzierten Zuhörer fühlen, als Udo Pastörs weiter ausführt, dass Opferberatungen für rassistische Gewalt »berufsbedingt alles übertreiben müssen«, Straftaten »nachweislich von Asylanten« begangen werden und dieser »Büßergottesdienst« gänzlich verfehlt sei? »Bitte verlassen sie die Kirche«, schreitet Dino Steinbrink ein und fordert Pastörs auf, zu gehen. Der Pastor begründet seinen Verweis: »Sie haben sich nicht an die Gesprächsregeln gehalten. Sie haben Menschen mit dem Wort Asylant verunglimpft.« Das Lächeln von Udo Pastörs verrät es: Der Abend verlief für ihn wie erhofft. Statt direkt auf Fakten und Sorgen einzugehen, gelang es ihm lange, der Diskussion eine andere Richtung zu geben.
    Beim Verlassen der Kirche sagt Pastörs, der rechten »Strategie der Wortergreifung« folgend, ungeniert, kritische Meinungen würden ausgeschlossen. Von »Kirchensäuberung« ist später bei der NPD die Rede. Fazit der Neonazis: »Demokratie gibt’s halt nur für ›politisch Korrekte‹.«
    Ganz bewusst sucht die NPD in der »Mitte der Gesellschaft« die politische Auseinandersetzung. Selbstsicher treten ihre Funktionäre nicht bloß im Osten der Republik regelmäßig bei Veranstaltungen gegen Neonazismus auf. Auch im hohen Norden verfolgte die NPD ihre Taktik der Wortergreifung am 5 . Juni 2007 bei einer SPD -Veranstaltung. An jenem Abend diskutierte die NPD gar im Kieler Landeshaus »getreu dem Motto: ›Gesicht zeigen für Deutschland‹« selbstbewusst mit.
    In der Partei kommen längst strategische Umorientierungen zum Tragen. Seit Jahren bemüht sich die NPD -Bundesführung um Udo Voigt und Holger Apfel, die älteste neonazistische Partei in Deutschland ideologisch neu auszurichten. Manch aktueller Erfolg ist diesem bereits vor Jahren eingeleiteten Politikwechsel geschuldet. In der »Deutschen Stimme« erklärte NPD -Bundesvorsitzender Udo Voigt schon 2003 , dass die »Maßnahme der Wortergreifung« mit mehreren Kameraden organisiert werden solle. Er fügte hinzu: »Natürlich sollte ich nur solche Veranstaltungen aufsuchen, wo wir mit unserer Haltung zum Thema polarisierend eingreifen können.«
    Die NPD -Monatszeitung hat eine Auflage von rund 25 000 Exemplaren, sie erreicht ihre extrem rechte Klientel bundesweit. Oft ist sie auch im Sortiment von Bahnhofskiosken zu finden. Gut drei Jahre später erinnerte Udo Voigt in der NPD -internen Handreichung »Argumente für Kandidaten & Funktionsträger« an die Bedeutung dieser politischen Interventionsform, in der sich auch die ideologische Neuorientierung der Partei widerspiegelt. »Besuchen wir«, schrieb er 2006 , »im Sinne der Wortergreifungsstrategie die Veranstaltungen des

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