Neongrüne Angst (German Edition)
Psychopathen umgeben? Gibt es überhaupt keine normalen Männer mehr, fragte sie sich. Da ist einerseits der Verehrer, dann mein bescheuerter Bruder und jetzt auch noch Pit.
Immerhin, eins spricht für ihn. Er ist einer der wenigen, die mir sofort geglaubt haben. Vielleicht ist er ja einfach nur verliebt in mich und sagt mir das auf diese komische, grausame Art. Habe ich in ihm Beschützerinstinkte geweckt?
Jedenfalls hat er dafür gesorgt, dass mein Handy weg ist. In dieser Wohnung hier habe ich noch kein Telefon gesehen. War es mehr als eine spontane Aktion, als er mein Handy ins Meer geworfen hat? Wollte er verhindern, dass der Flüsterer mich übers Handy ortet oder gar, dass die Polizei mich so finden kann? Wollte er mich von allen Kommunikationsmitteln endgültig abschneiden, damit ich niemandem erzählen kann, was los ist?
In diesem Punkt war er sich mit dem Anrufer scheinbar einig, dachte sie. Der will auch auf keinen Fall, dass ich Kontakt zu meinen Freunden halte. Er hat sogar von mir verlangt, sie für mein Handy zu sperren.
Was tut man in meiner Situation am besten? Man wendet sich an Eltern oder Lehrer oder Freunde. Sie konnte sich nicht vorstellen, noch einen Versuch zu machen, mit ihrer Mutter zu reden. Die hatte ja jetzt doch bloß Augen und Ohren für ihren neuen Lover.
Ihr alter Grundschullehrer Rolf Stindl fiel ihr wieder ein. Was hatte seine Frau gesagt? Er war in Barcelona? Konnte es sein, dass er mittlerweile zurück war? Er würde ihr glauben, oder auf jeden Fall zuhören. Bei ihm teilte sich jedes Problem in drei Teile, und es gab auch immer eine Lösung. Zumindest war das in ihrer Vorstellung von ihm so. In der vaterlosen Zeit hatte sie in ihm so etwas wie einen Ersatzpapi gesehen.
Dann kamen sehr dunkle Gedanken. Wenn Pit das alles schon so lange im Voraus geplant hatte, dann musste er die Sachen hierhergebracht haben, bevor er den Schlag auf den Kopf erhalten hatte. Es war unwahrscheinlich, dass er danach noch eine Tour nach Norddeich unternommen und die Wohnung mit Vorräten vollgestopft hatte. Aber woher hatte er da schon wissen können, dass sie in Bedrängnis geraten würde?
Es gab nur eine schlüssige Erklärung: Er kannte den Anrufer.
Hatten die beiden vielleicht sogar gemeinsame Sache gemacht? Hatten sie zu zweit versucht, sie zu ihrer Marionette zu machen? Hatten sie sich dann irgendwann gestritten, und hatte Pit schließlich Gewissensbisse bekommen und versucht, seinen Kumpel zu stoppen, und als es nicht mehr ging, bereitete er den Abflug vor?
Sie stellte sich vor, dass die beiden nach der Aktion auf der Achterbahn in Streit geraten waren. Vielleicht hatte Pit ihn zur Rede gestellt und war dann von ihm zusammengeschlagen worden. Pit stand in einem riesigen Interessenkonflikt. Er wollte seinen alten Kumpel nicht verraten. Außerdem hätte er dann zugeben müssen, dass er sehr früh eingeweiht gewesen wäre. Gleichzeitig wollte er sie schützen.
War das der Zusammenhang? Ergab das alles einen Sinn?
Johanna hatte brüllende Kopfschmerzen und schlich sich leise ins Badezimmer. Dabei musste sie an Pit vorbei, der embryonal zusammengerollt auf der Couch lag und schnarchte wie eine junge Katze.
Konnte dieser Junge wirklich an so einem bösen Plan mitgearbeitet haben?
Im Badezimmer öffnete sie den Allibert-Schrank, der aussah, als sei er mindestens so alt wie das Haus. Der mittlere Spiegel hatte einen kleinen Sprung.
Normalerweise bewahrten Leute darin ihre Medikamente auf. Sie hoffte auf ein paar Kopfschmerztabletten.
Sie sah ein kleines Fläschchen mit Tropfen. Sie kannte dieses Medikament nicht und las den Aufkleber: Tilidin.
Es schien sich um ein starkes Schmerzmittel zu handeln, das auch bei Krebs oder Rheuma eingesetzt wurde. Die Liste der Nebenwirkungen war lang: Übelkeit und Erbrechen, Müdigkeit, Benommenheit, Durchfall, Bauchschmerzen, vermehrtes Schwitzen, Kopfschmerzen.
Wieso hatte Pit ein Mittel im Schrank, das auch zur Behandlung von Krebs und Rheuma geeignet war? War das das Zeug, das von vielen liebevoll »Tili« genannt wurde? Das aus kleinen, ängstlichen Fluchttieren große, räuberische Monster machte?
Sie hatte es nie in der Hand gehalten, nur viel davon gehört. Und angeblich dealte Volker damit.
Und wieso standen hier fünf Packungen? Hatte Pit auch davon einen Vorrat angelegt? War er in der Tiefe seines Herzens ein Hamster?
Das Licht, das aus dem Badezimmer ins Wohnzimmer fiel, musste ihn geweckt haben, oder sein Schlaf war leichter als der
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