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Neongrüne Angst (German Edition)

Neongrüne Angst (German Edition)

Titel: Neongrüne Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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70
    Die Nacht war so schwarz, dass nicht einmal mehr das Funkeln der Sterne auf der Erde zu sehen war. Ablandiger Wind fegte Sand von den Dünen ins Meer, kippte Mülleimer um und schmückte Baumkronen mit weggeworfenen Plastiktüten.
    Der Wind rüttelte fauchend an den Fenstern und Türen. Es hörte sich drinnen an, als würde eine randalierende Meute Einlass begehren. Trotzdem wusste Johanna genau, dass sie hier nicht bleiben konnte.
    Und wenn ich einfach irgendwo klingle und um Unterschlupf bitte … Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor fünf Uhr morgens. Keine gute Zeit, wenn man ein Hotelzimmer sucht oder einen Platz in einer warmen Stube.
    Aber schon bald, dachte sie, werden die ersten Menschen zur Arbeit gehen. Die Läden werden öffnen und mit ihnen die Stehcafés. Dies ist doch ein Touristengebiet. Hier bekomme ich garantiert ein Zimmer. Und dann rufe ich von dort aus meine Mutter an. Sie muss mir einfach helfen. Sie muss …
    Ihr Entschluss stand fest. Sie wollte nicht noch einmal versuchen, im Wohnzimmer an Pit vorbeizukommen, sondern stattdessen hatte sie vor, aus dem Fenster zu klettern. An der Dachrinne und dem Rosengitter hoffte sie, genügend Halt zu finden. Es war nicht sehr tief. Notfalls konnte sie auch springen.
    Besser, ich verstauche mir hier den Knöchel, als mit diesem Wahnsinnigen länger in einem Haus zu bleiben, dachte sie.
    Als sie das Fenster öffnete, fuhr der Wind wie der Atem eines wütenden Drachen, der auf dem Dach gelauert hatte, ins Haus und ließ im Wohnzimmer und im Bad die Türen knallen. Es war, als hätte der Wind vor, sie nicht aus dem Haus zu lassen, sondern sie in die Wohnung zurückzudrängen, ja, aufs Bett zu werfen.
    Sie kämpfte dagegen an und fand mit dem rechten Fuß schon Halt im Rosengitter, als Pit Seidel in der Tür stand. Er hatte den Kopf gesenkt. Der Wind blähte sein Hemd und legte seine haarlose Brust frei.
    Die Naht des Sofakissens war auf seinem Gesicht abgemalt wie ein Schmiss nach einer Mensur. Er verzog den Mund und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Er riss die Augen weit auf und rieb sich erst das linke, dann das rechte Auge, so als könnte er nicht glauben, was er sah.
    Johanna wollte das linke Bein nach draußen ziehen, blieb aber mit der Jeans an der Fensterverriegelung hängen. Durch ihre Kleidung spürte sie den Wind auf ihrer Haut. Er schüttelte sie durch und zerrte an ihr.
    Dann sprach Pit mit einer Stimme, die sie vorher noch nie von ihm gehört hatte, sondern nur aus dem Telefon kannte.
    »Keine Angst vor dem freien Fall, Josy? Wie ist das, wenn man den Boden unter den Füßen völlig verliert?«
    Er machte eine sprunghafte Bewegung nach vorn und tat so, als ob er sie nach unten stoßen wollte. »Buh!«, machte er und lachte über seinen eigenen Witz.
    Jetzt klammerte sich Johanna am Fensterkreuz fest. Das Rosengitter unter ihr gab nach, oder ihr Fuß war abgerutscht, jedenfalls spürte sie keinen Halt mehr.
    Beide Beine baumelten jetzt nach unten. Sie strampelte in der Luft herum. Die Stacheln der Rosen bohrten sich durch die Jeans in ihre Unterschenkel.
    »Keine Angst«, sagte er und klang wie eine schlechte Klaus-Kinski-Imitation in einer Edgar-Wallace-Parodie. »Ich helfe dir. Ich lasse dich nicht runterfallen. Wir wollen doch beide nicht, dass du dir ein Bein brichst.«
    Dann packte er ihr Handgelenk, und für jeden Außenstehenden sah es so aus wie eine Hilfestellung. Kraftvoll und gleichzeitig sanft und vorsichtig hob er sie zurück ins Schlafzimmer. Als er sie losließ, fiel sie aufs Bett.
    Ruhig schloss er das Fenster, als sei es eine alltägliche Arbeit, die er nur vergessen hatte zu verrichten.
    Dann drehte er sich zu ihr um.
    Sie kroch rückwärts auf dem Bett in Richtung Tür.
    Als müsse er ihr vormachen, mit wie vielen Stimmen er sprechen konnte, wechselte er mitten im Satz von einer Tonlage in eine andere, dabei erschien es ihr auf erschreckende Weise so, als würde er nicht einfach mit einer anderen Stimme sprechen, sondern die Persönlichkeit wechseln, denn jedes Mal nahm er eine andere Körperhaltung ein und eine neue Mimik.
    »Du weißt, dass ich dich nicht gehen lassen werde, Josy. Du gehörst zu mir. Wenn du ganz ehrlich zu dir bist, dann weißt du doch, dass dich niemand sonst wirklich will. Weder deine Mutter hat Zeit für dich noch dein nerviger Bruder. Leon treibt sich ständig mit anderen Sahneschnittchen rum, und so was wie ein Vater existiert doch nur in einer fernen

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