Neongrüne Angst (German Edition)
verstaute die Meeresfrüchte und die anderen Leckereien im Kühlschrank, dann probierte sie selbst eine Olive und fasste einen Plan.
Sie musste an Geld kommen für den Wein.
Die Mutter hatte Ben das Haushaltsgeld ausgehändigt, nicht ihr. Es war klar, dass der davon höchstens ab und zu mal den Pizzaexpress anrufen oder bei Phan essen gehen würde.
Sie beschloss, es ihm zu stehlen.
Nein, sagte sie sich selbst, eigentlich war das kein Diebstahl. Schließlich war das Geld für sie beide bestimmt.
Es gab drei Orte, an denen Ben Geld bunkerte. In der Schublade zwischen seinen Socken. In der Seitentasche seiner Anglerweste, die er gern Joseph-Beuys-Weste nannte, weil der so etwas immer getragen hatte und Ben lieber mit dem Künstler verglichen werden wollte als mit einem beliebigen Angler. Oder in dem Kochbuch für Anfänger, das die Mutter ihm mal zu Weihnachten geschenkt hatte. Er benutzte es nie, außer, um Geld darin zu verstecken.
Die Anglerweste hing an der Garderobe. Dort versuchte sie es zuerst, hatte aber Pech.
Inzwischen war Ben in seinem Zimmer verschwunden und hockte wieder am Computer, hatte auf dem Weg dahin aber die heruntergefallene Olive plattgetreten.
Das Kochbuch und die Sockenschublade befanden sich in seinem Zimmer. Sie riskierte es, und tatsächlich – er war so sehr in sein Spiel vertieft und noch so beleidigt vom Streitgespräch, dass er sich nicht mal zu ihr umdrehte.
Er maulte nur: »Mein Zimmer.«
Sie zog vorsichtig das Kochbuch aus dem Regal.
Hoffentlich ist das Geld da drin, dachte sie. Die Schublade aufzuziehen würde zu viel Krach machen.
Sie blätterte das Buch durch, aber das Geld war nicht darin.
Also beugte sie sich herunter zur Schublade und versuchte, sie vorsichtig zu öffnen.
Es knallte und zischte aus dem Computer. Ben schoss sich gerade einen Weg frei und war kurz davor, ein gefährliches Monster zu erlegen. Er hörte das Knarren der Schublade nicht.
Sie fand das Geld. Er hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, die Scheine zu falten oder zu bündeln. Es lag alles zwischen den Socken.
Obwohl es gut für ihn aussah, landete das Monster dann einen unerwarteten Schlag, und Ben verlor ein Leben. Es war nicht weiter schlimm, denn er hatte noch zwölf, aber trotzdem sprang er sauer auf und schnauzte den Computer an.
Er drehte sich um und sah Johanna, die vor der Schublade kniete, das Geld in der Hand.
»Jetzt reicht’s aber, Kleine! Was soll das denn hier werden? Du beklaust deinen eigenen Bruder?«
»Das Geld ist für uns beide!«
»Ja, und ich pass auf uns beide auf. Frag doch, wenn du was brauchst. Was ist los mit dir, verdammt nochmal? Du benimmst dich in letzter Zeit so, als hättest du sie nicht mehr alle!«
Er nahm ihr das Geld aus der Hand. Sie ließ es geschehen.
Dann brach Johanna zusammen und erzählte ihrem Bruder alles. Die ganze Wahrheit.
Er hörte ihr zu. Zwischendurch sah er manchmal zur Decke. Einmal hätte er sie sogar fast in den Arm genommen.
Immer wieder grunzte er, doch am Schluss passierte das Schlimmste – das, was Johanna befürchtet hatte: Er glaubte ihr kein Wort.
»Was hast du vor? Willst du mich gegen meine Freunde aufhetzen? Willst du sie mir miesmachen mit irgendeiner blöden Lügengeschichte? Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder das hier ist eine saublöde Manipulation von dir, mit der du meinen Freundeskreis, den du zweifellos blöd findest, sprengen willst, oder aber einer will dich verarschen, und du bist dämlich genug, drauf hereinzufallen. Hattest du echt vor, von unserem letzten Geld diesen teuren Wein zu kaufen?«
Er tippte die Sorte kurz ein und googelte den Preis. 46 Euro 65.
Er tippte sich gegen die Stirn. »Wie bescheuert bist du eigentlich? Und welcher Idiot trinkt schon Altleher Hahnentritt?«
Johanna rannte aus dem Haus und knallte die Tür hinter sich zu.
52
Das Telefongespräch mit Lars Schafft erleichterte Leon. Sein Interviewpartner war freundlich und unkompliziert. Er befand sich noch gar nicht in Delmenhorst, sondern kam aus dem Ruhrgebiet und trank an einer Autobahnraststätte einen der drei schlechtesten Kaffees seines Lebens, wie er betonte.
Leon versprach ihm, in Delmenhorst gäbe es sicherlich besseren Kaffee, und er wollte auch gerne einen ausgeben. Sie verabredeten sich. Um 19 Uhr, eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung, wollte Schafft bereits ein paar Fragen beantworten.
Leon war trotz des guten Gesprächs aufgeregt. Er wollte nach Ganderkesee fahren, die alten Krimis, für die Schafft
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