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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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wie Zuckerwatte wirkte. Ich parkte ein Stück hinter Cletes Haus in einer Arbeitergegend, in der eines Tages nur noch Schwarze wohnen würden. Der Rasen davor war vor kurzem gemäht worden, aber nicht sehr sorgfältig, so daß zwischen den einzelnen Bahnen große Grasbüschel stehengeblieben waren, und die Risse im Bürgersteig und in den Platten der Auffahrt waren von Unkraut überwuchert. Die Mülltonnen waren am Vortag geleert worden, lagen aber immer noch vor dem Haus auf der Straße, das zerbeulte Blech feucht vom Tau. Um halb acht trat er aus der Haustür. Er trug ein weißes Hemd mit kurzem Arm, einen gestreiften Schlips und eine Seersucker-Hose und hatte das Jackett über den Arm gelegt. Sein Gürtel hing unterhalb des Bauchnabels, wie bei einem ehemaligen Football-Spieler, und mit seinen mächtigen Schultern sah er aus, als habe er aus Versehen ein Kinderhemd angezogen.
    Ich folgte ihm im dichten Verkehr quer durch die Stadt. Er blieb an einer roten Ampel vor mir stehen, und ich sah, wie er in der unerträglichen und immer noch zunehmenden Tageshitze und Feuchtigkeit zwischen den Hochhäusern und den im Stau steckenden Autos mit weit offenem Mund gähnte, sich das Gesicht massierte, als wolle er das tote Gewebe wieder zu neuem Leben erwecken, und den Kopf an den Türpfosten lehnte. Ein Mann mit einer echten Dosis Katzenjammer, dachte ich. Nach den ersten Vormittagsstunden würde er ins Schwitzen kommen, den Trinkwasserbehälter leeren, mit sich kämpfen, ob er noch mehr Aspirin schlucken sollte, und sich mit seinem Elend in der Dunkelheit eines Toilettenverschlags verstecken. Gegen Mittag würde er sich wieder in die gleißende Sonne und den Verkehrslärm hinauswagen und über die Canal Street zu einem Café fahren, wo ihn niemand kannte und er ungestört zu Mittag ein Biertrinken und sich bemühen konnte, bis ein Uhr seinen Tag wieder halbwegs zusammenzuschustern. Er machte eine harte Zeit durch, und es sollte noch schlimmer kommen.
    Er parkte seinen Wagen in zweiter Reihe vor dem Greyhound-Busbahnhof und verschwand im Gebäude, nachdem er sich sein Jackett wieder übergezogen hatte. Fünf Minuten später saß er wieder in seinem Wagen, reihte sich in den Verkehr ein und sah sich um, als ob im Rückspiegel plötzlich die ganze Welt auf ihn zukäme.
    Ich fuhr zurück zu meinem Hausboot, rief im Krankenhaus an, um mich nach Jimmie zu erkundigen, trainierte eine Weile mit den Hanteln, rannte fünf Meilen am See entlang, reinigte und ölte meine Jagdflinte vom Kaliber .12, kochte mir eine Portion Rotbarsch und braunen Reis zum Lunch und hörte mir eine alte Aufnahme von Blind Lemon Jefferson an:
    Dig my grave with a silver spade
    And see that my grave is kept clean.
    Oh dear Lord, lower me down on a golden chain.
    Ich fragte mich, warum offenbar nur die Schwarzen in der Lage waren, in ihrer Kunst das Thema Tod angemessen und realistisch zu behandeln. Die Weißen schrieben über den Tod wie über eine abstrakte Idee, benutzten ihn als ein poetisches Stilmittel und beschäftigten sich nur dann damit, wenn er weit entfernt war. Die meisten Gedichte von Shakespeare oder Robert Frost zu diesem Thema entstanden, als beide Männer noch jung waren. Wenn dagegen Billie Holiday, Blind Lemon Jefferson oder Leadbelly vom Tod sangen, dann hörte man, wie der Gefängnisaufseher sein Gewehr entsicherte, sah die schwarze Silhouette vor der untergehenden roten Sonne am Baum hängen, roch die frische Holzkiste, die in die gleiche Mississippi-Erde hinuntergelassen wurde, gegen die ein armer Farmer sein ganzes Leben lang angearbeitet hatte.
    Am Nachmittag fuhr ich zum Krankenhaus und verbrachte zwei Stunden bei Jimmie. Er schlief so tief, als sei er bereits in eine andere Dimension eingetaucht. Ab und zu zuckte er mit dem Mund, als habe sich eine Fliege darauf niedergelassen, undich fragte mich, welche schmerzhaften Erinnerungssplitter unter der beinahe ausdruckslosen, aschfahlen Maske arbeiten mochten, zu der sein Gesicht geworden war. Ich hoffte, er erinnerte sich nicht an das Aufblitzen des Revolvers, der durch die Toilettentür hindurch auf seinen Kopf gerichtet war. Nur wenige Menschen können den Horror nachempfinden, den man in einem solchen Augenblick empfindet. Soldaten lernen, nicht darüber zu sprechen. Zivilisten, die Opfer eines solchen Anschlags geworden sind, versuchen ihren Freunden oder Therapeuten ihre Gefühle zu erklären und erleben häufig genug dasselbe Mitleid, das wir für sinnlos daherplappernde Irre

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